Über den Dächern von Palma

antennen

So langsam fühle ich mich richtig heimisch auf Mallorca. Alfonso von der Bar nebenan lässt mich immer tiefer in sein Leben blicken, spricht von der Krise, die auch Mallorca erreicht hat. Uwe, ein Residente aus Deutschland, erzählt mir im Café von seinen turbulenten Jahren auf der Insel und von Deutschen, die am liebsten Deutsche über den Tisch ziehen. Und jetzt auch noch Carlos und Marco, die beiden Fernsehtechniker. Sie bringen einen Hauch von Québec in mein mallorquinisches Winterquartier.

Das Déjà-vu mit der kanadischen Heimat beginnt pünktlich zu den Frühnachrichten. Kein Bild, kein Ton. „KEIN SIGNAL“. Der Satellit, zielgenau nach Afrika ausgerichtet, macht schlapp. E.T. will nicht mehr.

Du rufst den Fernsehtechniker an, sprichst Englisch und Deutsch und sogar un poquito Español. Vor allem aber sprichst du mit Händen und Füßen.

Carlos kommt, er kommt tatsächlich. Klettert, Knopf im Ohr, fröhlich plappernd wie ein Stuntman über Terrassen und Dächer. „No problem“, sagt er auf Englisch. Und dann, als hätte sich die Peilrichtung der Satellitenschüssel urplötzlich von Afrika nach Norwegen verändert: „Big problem!“  Dann verschwindet er.

Sechs Stunden später ist er wieder da. Mit Marco im Schlepptau. Carlos guckt viel auf die Uhr, Marco mehr durchs Fenster. Der Wagen steht im Halteverbot. Die Polizei in Palma kennt kein Erbarmen mit Menschen ohne Satellitenempfang.

Carlos und Marco sind jetzt ein Team. Klettern zusammen, schrauben zusammen, fluchen zusammen. Und freuen sich irgendwann zusammen, dass alles so wunderbar geklappt hat.

„Houston, we have a signal!“ Rechtzeitig zur Tagesschau. Ein defekter Kontakt an der Schüssel war Schuld am Blackout. Jetzt sei alles unter Kontrolle, sagt Marco. Und Carlos láchelt unter seinem Schnauzer: No problem.

Kaum haben sich Carlos und Marco gestenreich verabschiedet, klopft es an der Tür. Es ist die Señora vom 2. Stock, mit süßem Baby, aber schlechter Laune. „Hola“, sagt die Frau. „Kein Signal!“

Regel Nummer eins im Umgang mit Handwerkern: Telefonnummern nach getaner Arbeit nie wegwerfen! Also: Anruf bei Carlos und Marco. Dreißig Minuten später steht das Dreamteam wieder auf dem Dach. Schraubt diesmal die richtigen Drähte mit den richtigen Schüsseln zusammen. Endlich: Signal für alle!

Irgendwann klappt in Mallorca immer alles. Irgendwie. Wie in Québec.

Ein Handyman für alle Fälle

Auf der Hitparade der Berufe kommt bei mir der Handyman gleich hinter dem Gehirnchirurgen, dem Rettungssanitäter und dem Feuerwehrmann. Handymen sind Menschen, die alles reparieren, alles bauen, alles wissen und oft auch alles nehmen, was sie kriegen können.

Ein Handyman ist eine Allzweckwaffe, die den Baumarkt im Westernschritt durchschreitet und alles blickt. Er ist an seinem breiten Ledergürtel zu erkennen, an dem Schraubenzieher, Zangen und Hämmer hängen wie Colts oder Trophäen aus gewonnenen Häuserschlachten. Gute Handymänner können fast jeden Preis verlangen, denn sie sind selten. Schlechte Handymänner gibt es an jeder Ecke. Wir hatten innerhalb weniger Wochen von jeder Sorte einen.

Alan: Star-Handyman mit Allüren

Alan ist ein virtuoser Schrauber, aber auch eine Primadonna, die zuweilen wie Rumpelstilzchen tanzt, wenn ihr etwas nicht passt. Alan baute für uns eine traumhafte Holztreppe, ein innenarchitektonisches Gesamtkunstwerk, das vom Loft in eine Zwischenetage führt. Seine Hammerschläge sind dramaturgisch so perfekt gesetzt, dass man für sein nächstes Klopfkonzert Tickets vorbestellen möchte. Aber wahrscheinlich sind die Darbietungen des Maestro auf Jahre hinaus ausgebucht. Und weil es sich Starschrauber wie Alan leisten können, nicht jedes Lala-Engagement anzunehmen, musste für die lächerliche Installation einer Vorhangstange in mickrigen fünfeinhalb Metern Höhe eben ein neuer Handyman her.

Pierre: Schrauber mit Ansage

Der heisst Pierre und ist das genaue Gegenteil von Alan. Er schnallt ausser seinem imposanten Gürtel gar nichts und kann einen Dübel gerade mal von einer Schraube unterscheiden. Schon der Anblick seiner Toolbox hätte bei mir tausend Lämpchen aufblinken lassen müssen. Sie erinnerte mich in ihrer Schlichtheit an Werkzeugkästen, wie man sie kleinen Buben zur Erstkommunion schenkt.

Um die fünf Meter lange Metallstange vom Baumarkt ins Loft zu transportieren, braucht Pierre Hilfe. Meine Hilfe. Sein Kleinstwagen müsste eigentlich schon im Leerzustand wegen Überfüllung geschlossen werden. Es ist wegen mangelnder Sitzgelegenheiten allenfalls noch Platz für eine Tageszeitung, sofern es sich nicht um die Wochenendausgabe handelt. Aber es hilft alles nichts, Pierre braucht mich als den Mann, der ihm die Stange hält.

Im Kleinstkleinwagen durch St. Henri

Auf dem Dach von Pierres Kleinstkleinwagen gibt es keinen Gepäckträger. Wozu denn auch, schließlich bin ich ja da. Pierre befiehlt mir, auf dem Rücksitz hinter dem Fahrersitz Platz zu nehmen. Ich schaufle mir meinen Weg also durch Schraubenschachteln, Vesperbrotpapiere, abgenagte Hühnerknochen aus Kentucky und Kaffeebecher von MacDoof bis Burgerking frei und nehme den mir zugewiesenen Sitzplatz ein. Den linken Arm strecke ich auf Pierres Geheiß durchs Fenster und greife mir die Eisenstange auf dem Dach. Pierre macht es mir vom Fahrersitz aus vor. Zwei Männer, eine Stange, kein Dachständer. Und zwei Kilometer Fahrt vor uns.

Auf geraden Strecken ist das Festhalten einer Metallstange auf einem Autodach zwar eine ungewöhnliche, aber alles in allem doch überschaubare Herausforderung. Nicht so in scharfen Kurven. Von denen gibt es im Stadtteil St. Henri viele und Pierre kennt sie alle. Als einer, der nur hin und wieder einen gültigen Führerschein besitzt, kennt er auch alle Schleichwege. Vor allem die, die ihm die Polizei vom Halse halten.

Der Boss und sein Helfer

Ich bin zwar derjenige, der Pierre bezahlt. Aber er ist jetzt der Boss und ich sein Helfer. In Linkskurven heißt Pierres Parole: „Dagegendrücken, fester!“ In Rechtskurven: „Ziehen, jetzt ja nicht loslassen!“ Das Ganze in einem Quebec-Französisch, das eher wie Polnisch rückwärts klingt. Das Festhalten einer fünf Meter langen Eisenstange, die vorne und hinten je einen Meter über die Autolänge hinausragt, liesse manchen Muckibuden-Besucher alt aussehen. Und mich uralt bis scheintot.

Transport geschafft! Das Festmachen der Stange in luftiger Lofthöhe wäre für einen Starhandyman wie Alan glatte Routine, ein Job zwischen zwölf und Mittag. Nicht aber für Pierre. Der kommt schon bald an seine handwerklichen Grenzen, droht an der Aufgabe geradezu zu zerbrechen. Es tut weh, diesem Mann zuzusehen, der so willig, so liebenswürdig und dabei so untalentiert ist. Jeder Handgriff wird wortgewaltig anmoderiert. Lore beklatscht jeden Dübel, der Schrauber verneigt sich jedes Mal in Dankbarkeit für so viel Anerkennung. Warum dieser Mensch Handyman und nicht Anchorman geworden ist, bleibt sein Geheimnis.

Wenn die Stange durchhängt wie eine Banane

Irgendwann ist der Auftrag erledigt. Oder so ähnlich. Pierre wischt sich den Schweiß von der Stirn. Ich mir auch. Lore klatscht. Danke, lieber Loftgott! Wir haben jetzt eine Vorhangstange und es gab weder Tote noch Verletzte. Schade nur, dass die Eisenstange schon nach einer Woche in die Knie geht und durchhängt wie eine Banane in fünfeinhalb Meter Höhe. Es hätte geholfen, wenn Pierre den richtigen Dübel zur richtigen Schraube im richtigen Abstand gesetzt hätte.

Lore macht das. Ohne Pierre. Ohne Anmoderation. Und keine Banane weit und breit.