Cool. Cooler. Montréal.

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Eben gesehen: Eine namenlose Band. Jungs und Mädels aus der Nachbarschaft. Ein paar provisorische Sitzgelegenheiten, Sangria aus dem Cooler – und schon geht die Post ab: Summer in the City, in irgendeiner Nebenstraße in der Innenstadt von Montréal, an einem ganz gewöhnlichen, schwülen Mittwochabend.

Weil der Winter lang und der Sommer kurz ist, packen Kanadier so viel Spaß wie möglich in die paar Monate ohne Eis und Schnee. Und weil das frankokanadische Montréal die Stadt mit dem größten Spaßfaktor ist, machen die Blockpartys hier am meisten Spaß. Es wird getanzt und getrunken, gegessen und, wie es sich für Québec gehört, zwischendurch auch lautstark politisiert.

Englische Musik, französische Lebensfreude. Kanada aus dem Bilderbuch eben.

Klar, Toronto, Vancouver, Calgary und noch ein paar andere kanadische Städte sind schon auch klasse. Aber die Montréaler Mischung aus American Way of Life und französischem savoir vivre ist einfach nicht zu toppen.

„In Toronto verdienen die Leute das Geld”, heißt es hier in Kanada, „das sie hinterher in Montréal wieder ausgeben“.Bingo.

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Kaltherzige Katastrophen-Politik

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© ctv.ca (screenshot)

Politiker sind eine seltsame Spezie. Kaum sind sie gewählt, arbeiten sie daran, wiedergewählt zu werden. Dabei ist ihnen oft jedes Mittel recht.  So gehört schon eine Menge Kaltschnäuzigkeit dazu, Kapital aus einer Katastrophe zu schlagen, noch ehe die Todesopfer identifizert sind. Genau das hat der Vorsitzende der kanadischen New Democratic Party (NDP), Thomas Mulcair, jetzt getan.

Ein Zugunglück in dem Québecer Städtchen Lac-Mégantic hat Tote, Verletzte und unermessliche Sachschäden gefordert. Doch noch ehe die Leichen geborgen, die Angehörigen informiert sind, stellt sich der Vorsitzende der Sozialisten mit erhobenem Zeigefinger vor die Presse und sagt: „Alles nur die Schuld der regierenden Konservativen!“ Hätten die nämlich rechtzeitig die Sicherheitsvorkehrungen für Öl- und Gastransporte erhöht, wäre die Katastrophe von Lac-Mégantic nicht passiert.

Es mag ja ein Fünkchen Wahrheit daran sein. Der Sparwahn von Premierminister Stephen Harper grenzt manchmal an Idiotie. Aber darüber lässt sich entspannt im Parlament reden oder auch bei einer zu diesem Thema einberufenen Pressekonferenz.

Doch Stunden nachdem eine halbe Stadt in Flammen aufgegangen ist, verkohlte Leichen geborgen werden und Menschen ohne Obdach sind, Vorwürfe zu machen, wie sie jetzt von Thomas Mulcair kommen, ist verabscheuungswürdig und bringt keinem etwas. Am wenigsten dem Mann, der damit versucht, Wähler für seine Partei zu gewinnen.

Die sozialdemokratische NDP, die als Oppositionspartei im Großen und Ganzen keinen schlechten Job in Ottawa macht, sollte ihren Vorsitzenden einem reality check unterziehen.

Möglich, dass durch den Versuch, politisches Heu aus einer Katastrophe zu machen, ein paar neue Mitglieder zur NDP überlaufen. Möglich aber auch, dass die unzeitgemäße Hetze gegen die Regierung ein Schuss nach hinten wird.

Politischer Selbstmord wäre die gerechte Strafe für einen Parteivorsitzenden, dem Maß und Ziel abhanden gekommen zu sein scheinen.

Erinnerungen an Nelson Mandela

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Juni 1990: Nelson Mandela und seine damalige Frau Winnie. © Stadtarchiv Montréal

Als Journalist triffst du im Laufe deines Lebens viele Menschen. Wichtige und Wichtigtuer. Mörder, Scheusale und Helden. Reiche und Berühmte. Für mich steht eine kurze Begegnung mit Nelson Mandela ganz oben auf der Liste der beeindruckendsten Persönlichkeiten.

Es war im Juni 1990 bei einer Pressekonferenz im Montréaler Rathaus, vier Monate nach der Freilassung Mandelas aus Robben Island. Gegen Ende der PK gab es noch Gelegenheit, dem Freiheitskämpfer und späteren Präsidenten Südafrikas ein paar persönliche Fragen zu stellen.

Wie gefällt ihm Montréal? Was denkt er über die Unabhängigkeitsbestrebungen der Quebecer Separatisten? Keine Dinge, die die Welt bewegen. Gleich gar keinen Mann, der 27 Jahre seines Lebens in einem südafrikanischen Verlies verbracht hat. Falsche Hautfarbe, falsche Zeit.

Kein großes Ding, die paar Sätze, die ich mit Mr. Mandela wechseln durfte. Und doch haben sie mich nachhaltig beeindruckt. Wie kann eine Gesellschaft einen so großartigen Menschen 27 Jahre lang in einen Kerker sperren? Allein die Vorstellung macht mich noch heute wütend. Ich erinnere mich, dass es in unserer Familie eine Phase gab, da weigerten wir uns, südafrikanische Weine zu trinken. Wer mit Menschen so umgeht wie mit Nelson Mandela, hat mein Geld nicht verdient.

Nach der Rede Mandelas auf dem Balkon des Montréaler Rathauses passierte etwas Bizarres. Ich hatte die Toilette eines nahegelegenen Restaurants aufgesucht, als mein Knochenhandy von Motorola klingelte. Es war, ich erinnere mich noch genau, der Deutschlandfunk (DLF), der einen Korrespondentenbeitrag zum Mandela-Besuch von mir anforderte. „Wann wollen Sie senden?“, frage ich. „Sofort! Nach der Musik sind Sie dran“. – „Live?“ – „Ja, live. Sie hatten uns das Thema doch angeboten, oder?“ Der Kollege in Köln hatte Recht.

Für einen Ortswechsel reicht die Zeit nicht mehr. Also bleibe ich in der Leitung, Riesenhandy am Ohr. Links und rechts von mir Restaurantgäste in stehender Position, die alle nur einen einzigen Grund hatten, den Waschraum aufzusuchen. Genau. Und mittendrin der Kanada-Korrespondent. Livegespräch für den Deutschlandfunk, Nebengeräusche inklusive. Meine Mithörer müssen an meinem Geisteszustand gezweifelt haben. Herr Wichtigwichtig mit Handy am Ohr im WC plappert irgendwas auf deutsch von „Mister Mandela“.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es ein guter Korrespondentenbeitrag war. Ich weiss nur noch, dass es der ungewöhnlichste Ort war, von dem aus ich je gesendet habe. Aber schließlich ist Nelson Mandela auch der ungewöhnlichste Mensch, dem ich je begegnet bin.

Jakobsweg: Ich bleib dann mal hier.

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Irgendwo zwischen Foncebadón und El Acebo, mitten in der kantabrischen Bergwelt, lädt ein schnuckeliges kleines Restaurant namens „Taverna de Gaia“ zum Verweilen ein. Es regnet in diesem Teil Spaniens und Montréal ist weit, weit weg. Der Sohn ist vor genau einer Woche losgezogen, um auf dem Jakobsweg von Pamplona nach Santiago de Compostela zu pilgern. Er ist dann mal weg und ich bin hier.  Aber dank Hape Kerkelings genialem Pilger-Tagebuch reise ich jede Etappe mit. Und bin tierisch neidisch, dass ich nicht dabei sein kann.

„Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen“. Der Kalenderspruch meiner früheren Vermieterin holt mich in diesen Tagen ein. Wird er heute ein Nachtlager finden, oder muss er auf der Straße schlafen? Sind die Mitwanderer tatsächlich so harmlos und freundlich wie Kerkeling sie in seinem Buch „Ich bin dann mal weg“ beschreibt? Und überhaupt: Was ist mit den wilden Hunden, die in der Sommerhitze umherstreunen? Bestimmt sind sie total scharf auf 25jährige blonde Jungs aus Kanada.

Spanien. Immer wieder Spanien.

Ein komisches Gefühl ist es schon, den Sohn in einem Teil der Welt zu wissen, der in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt hat. In Spanien war meine erste große Liebe zu Hause, die in meinem Dorf als Au-Pair gearbeitet hat und die ich als Sechzehnjähriger per Anhalter in einem kleinen Nest an der portugiesischen Grenze besucht habe. Meine erste Gitarre hatte ein Orgelbauer von Spanien nach Ummendorf transportiert, wie mir mein Vater glaubhaft versicherte. Nach Spanien hat es mich als Erwachsener in den Strandurlaub verschlagen. Seit fünf Jahren verbringen wir auf der spanischen Mittelmeerinsel Mallorca Teile des Winters. Und jetzt also ein Déjà Vu auf dem Jakobsweg.

Es gibt viele Gründe, auf Pilgerreise zu gehen. Manche erhoffen sich davon die Erleuchtung schlechthin. Andere wollen nur wandern. Wieder andere erfüllen sich mit dem „Camino“ einen lang gehegten Traum. Für unseren Sohn ist es von allem ein bisschen. Sich sinnvoll eine Auszeit zu gönnen und dabei die Seele baumeln zu lassen, ist noch lange nicht die schlechteste Art, Kopf und Körper auf den Prüfstand zu legen und eine Art reality check an sich vorzunehmen.

700 Kilometer: Hitze, Regen und fast immer schnarchvolle Herbergen.

Dass ich die Pilgerreise dank Hape Kerkelings Buchlektüre fast zeitgleich mitwandern kann, empfinde ich als ein Geschenk. Dass Kerkeling den „wichtigsten Weg seines Lebens“, wie er die Wanderung auf dem Jakobsweg nennt, vor zwölf Jahren genau an dem Tag begonnen hat, an dem auch unser Sohn seine Hiking Boots geschnürt und die 700 Kilometer von Pamplona nach Santiago angesteuert hat, ist Zufall. Oder auch nicht.

Weniger als zehn Kilo Gepäck, übernachten in schnarchvollen Massen-Schlafsälen, Tagestouren von bis zu 40 Kilometer – gewöhnungsbedürftig für jemanden, der die meiste Zeit seines Lebens sitzend auf irgendwelchen Schul- oder Unibänken verbracht hat, sich allerdings auch regelmäßig zum Joggen und Radfahren aufrafft.

Statt Designerklamotten: Trainingshose als Schal-Ersatz

Er fühle sich nie allein auf seiner Reise und habe schon am ersten Tag Anschluss gefunden, beruhigt er uns in einem kurzen Telefonat per Kartenhandy. Dabei regnete es bisher fast jeden Tag. Und weil er einer Erkältung vorbeugen möchte, bindet er sich seine lange Trainingshose als Schal-Ersatz um den Hals. Bei Hape Kerkeling habe ich gelesen, dass eine Deutsche in blauen Unterhosen gewandert ist. Designerklamotten waren gestern. Heute ist Pilgerlook angesagt.

Fünf Wochen will sich der Sohn Zeit lassen für die Wanderung. Fünf Wochen habe auch ich damals gebraucht, um per Anhalter von Ummendorf nach Spanien und wieder zurück nach Deutschland zu reisen. Mir hat meine Trampertour die Erkenntnis gebracht, dass man Menschen zwar nachreisen kann, die damit verbundenen Strapazen aber trotzdem keine Garantie für ein Happy End sind.

Zu welcher Erkenntnis der Sohn wohl kommen wird, der an diesem Tag irgendwo zwischen Santo Domingo de la Calzada und Castildelgado unterwegs ist?

Wir werden sehen. So lange ihn hoffentlich die wilden Hunde nicht beißen.

Mein kurzes Leben mit Facebook

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Darf man etwas aufgeben, das man vor nicht einmal zwei Wochen angefangen hat? Ja, darf man. Facebook zum Beispiel. Facebook ist nichts für mich, sorry. Ich brauche keine neuen Freunde, pflege einen wunderbaren Austausch mit interessanten Menschen aus der ganzen Welt.  Die schicken mir Mails mit Fotos, Videos und Babytönen ihrer Kleinen. Sie rufen mich an, wenn ihnen danach ist, oder wir skypen.

Vor allem aber nerven mich meine richtigen Freunde nicht mit Einpeitschparolen, wie: „Personen, die Du vielleicht kennst …“ Oder: „A lot has happened on Facebook since you last logged in. Here are some notifications you’ve missed from your friends.” Danke fürs Mitdenken, aber bei mir nicht mehr nötig.

Nein, ich bin kein Generalverweigerer, dem alles suspekt ist, was nach Woodstock kam. Im Gegenteil: Ich liebe die Medien, besonders die digitalen. Ich weiss, was bei Facebook funktioniert und was nicht. Und Menschen, die ihre Zeit gerne mit und in Facebook verbringen, sind mir genau so lieb wie alle anderen. Nur: Facebook ist nichts für mich.

Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon: Ich möchte mich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass ich auf Kontaktanfragen nicht antworte. Ein anderer: Meine Spammail-Flut hat eindeutig zugenommen, seitdem ich bei Facebook angemeldet bin. Soziale Medien keine Datenkraken? Very funny.

Noch ein Punkt, warum ich mich von Facebook verabschiedet habe: Ich hatte den Zeitaufwand unterschätzt, der mit so einer Mitgliedschaft verbunden ist. Ein Account bei einem sozialen Netzwerk darf keine Einbahnstraße sein. Entweder du bist voll dabei und gehst auf deine „Freunde“ ein, postest, likest, kommentierst. Oder aber du lässt es. Zur vollen Hingabe fehlen mir Lust und Zeit. Also lasse ich es. Freunde, Kollegen und Bekannte, die mir etwas Interessantes mitzuteilen haben, wissen auch so, wie sie mich erreichen, Familie ohnehin.

Vielleicht war mein Anspruch an Facebook einfach zu verquer. Oder aber ich habe das Konzept nicht richtig verstanden, das dahinter steht. So oder so: Ich vermisse bei virtuellen Freundschaften die Herzenswärme und irgendwo auch die Authentizität. Frei nach Harald Schmidt: „Ich habe 10 000 Facebook-Freunde. Nur beim Umzug hilft mir keiner.“

Webjunkie, der ich bin, hänge ich ohnehin schon viel zu viel am digitalen Tropf. Und weil ich neben Mails, Blogs, Webseiten, Newslettern und Mediatheken nicht auch noch ständig Facebook-Nachrichten checken will, sage ich jetzt einfach Tschüss.

Ganz ohne Groll und mit großem Respekt für die Erfinder.

PS: Danke für die „Likes“