Viel Regen, wenig Manieren

regenKöln ist eine schöne Stadt und Deutschland ein tolles Land. Aber es ist Mitte April und der Himmel ist grau und die Bäume sind noch kahl. Außerdem wird es gleich wieder regnen und ich frage mich, wie es jetzt wohl in meinem geliebten Palma aussieht. Oder in meiner kanadischen Heimat Montreal.

Die Antwort aus Mallorca liefert die Frau, die gewöhnlich an meiner Seite ist: Herrlicher Sonnenschein, strahlend blauer Himmel. Und richtig warm. „Ich war heute am Meer spazieren und vermisse dich“. Danke, ich dich auch.

Die Leserin aus Montréal schreibt, sie vermisse in den letzten Tagen neue Blogposts und verabschiedet sich dann mit „lieben Grüßen aus dem Winterwonderland“.

Hallo? Spinnt Petrus jetzt wirklich? Vor drei Wochen war Frühlingsbeginn und es schneit noch immer! Das ist selbst für Kanada ungewöhnlich. Der Klick auf die Live-Webcam in Montreal bestätigt die Wetter-Info schwarz auf weiss. Oder vielmehr weiss auf schwarz: Auf dem Plateau-Montreal liegt Schnee.

Das mit den fehlenden Blogeinträgen in den letzten Tagen hat viel mit Arbeit zu tun, aber auch ein bisschen mit Stimmung. Die ist seit meiner Ankunft in Köln vor vier Tagen ein wenig wie das Wetter. Die Sonne hat sich nur einmal kurz gezeigt. Ausgerechnet in dem Moment, als ich sie nicht brauchen konnte und der Projektor im Seminarsaal Überstunden machen musste, um trotzdem einigermaßen klare Bilder auf die Leinwand zu werfen.

Nicht viel Neues also. Das heißt doch: In meinem Stamm-Hotel wohnen zurzeit jede Menge Menschen, die Lebensmittel nicht zu schätzen wissen. Das tut weh und es ärgert mich auch richtig. Am Frühstücksbuffet schaufeln sie sich die Teller voll, bis der Speck über den Tellerrand hängt und Würstchen zu Boden fallen. Dann lassen sie auf den Tischen angebissene Brötchen, Erdbeeren und Käsebrocken zurück, aber kein Trinkgeld. Gute Manieren gehen anders.

Die Frühstückskellnerin, die aus einem der ärmeren Länder der Welt kommt, meinte heute: Sie habe langsam keine Lust mehr, Gäste zu bedienen, die so achtlos mit Essen umgehen, während sie jeden Monat einen Teil ihres Gehalts nach Hause schicke, damit ihre Familie nicht hungern muss.

Bei so viel Trübsinn wird es wirklich höchste Zeit, dass wieder die Sonne scheint.

Zehn Fragen an Mallorca

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Hin und wieder fallen dem Reisenden Dinge auf, die der Mallorquiner vielleicht gar nicht mehr wahrnimmt. Zum Beispiel:

1)   Warum sind die WLAN-Zonen in Palma nicht besser ausgeschildert?

2)   Warum ist der Brunnen an der Plaza de la Reina meistens nur nachts an?

3)   Warum beginnen die meisten Abend-Veranstaltungen erst um 22:30 Uhr?

4)   Warum tragen so viele Menschen offene Dokumente unterm Arm?

5)   Warum sind die Fußgängerampeln nicht auf grüne Welle synchronisiert?

6)   Warum sind die Kästen für die Hundekacke-Beutel so oft leer?

7)   Warum gibt es am Busbahnhof keine ausgedruckten Fahrpläne mehr?

8)   Warum ist auf der Orangeninsel frischgepresster O-Saft so sündhaft teuer?

9)   Warum ist das Wappentier von Palma eine Fledermaus?

10)   Warum ist es auf Mallorca so schön?

Noch Fragen?

Der Tsunami vom Ballermann

b1Der Himmel ist blau. Wie Lametta glitzert die Sonne im Meer. Und wer genau hinschaut, kann beobachten, wie sich die Schirme der Kite-Surfer in deinem Weinglas spiegeln. An Tagen wie diesen wünschen sich nicht nur Tote Hosen Unendlichkeit.

Doch plötzlich schleicht sich ein Tsunami in dein Leben. Zuerst auf sanften Pfoten, bald schon mit brachialer Gewalt.

Der Tsunami ist klein und dicklich und hat knallrote Haare. Der Tsunami spricht viel zu laut, viel zu schnell und viel zu schwäbisch. Der Tsunami hebt den Sangria-Schwenker und schreit: „Genau deswega send mer auf Malle. Prost!

Jetzt noch der Ententanz und ich sterbe.

Tsunamis kommen und gehen. Nur dieser Tsunami bleibt. Als die Kellnerin bedauert, mir zum Nachtisch keine Ohropax servieren zu können, plane ich meine Flucht. Soll der rothaarige Tsunami doch ohne mich weiter toben.

Fast hätte ich’s vergessen: Es gibt sie also doch noch, die Ballermänner. Dabei können Ballermänner auch Frauen sein. Um diese Jahreszeit sind sie auf Mallorca noch selten. Die einschlägigen Kneipen in der Gegend von Arenal haben noch gar nicht alle geöffnet. Die Bierstraße muss erst noch auf Vordermann gebracht werden und selbst die Grillmeister schrauben noch an ihren Geräten. Eigentlich eine gute Zeit, nach Arenal an den Strand zu fahren. Ballermann ohne Ballermänner.

Wo seid ihr her?“ Die Frage kennt jeder, der im Ausland deutsch redet. Gewöhnlich ist es ja auch schön, sich mit anderen Reisenden auszutauschen. Nur eben nicht immer. Und vor allem nicht mit jedem. Aber dafür gibt’s dann ja die Stummtaste. Nur heute will sie nicht funktionieren.

Woher bisch?“, fragt der rote Tsunami schon wieder. Jetzt ja nicht antworten!, fährt es mir durch den Kopf. Gleich gar nicht im angeborenen und sonst durchaus geschätzten Dialekt. Schwäbisch könnte jetzt verheerende Folgen haben, denn die landsmannschaftliche Verbundenheit mit dieser lautstarken Sangria-Vernichterin lässt sich rein sprachlich gesehen nicht leugnen.

„Komm scho, woher kommet’r?“ – „Berlin„, sagt mein Ballermann-Begleiter wahrheitsgemäß, auch wenn er dort seit 45 Jahren nicht mehr wohnt. Und ich bin fürs Erste gerrettet. Mein Kumpel, ein Berliner aus New-York, mit jahrelanger Erfahrung im tiefsten Afrika, ist seit einigen Jahren „Residente“ auf Mallorca. Und hat die zündende Idee.

Er hängt jetzt einem „100%-echt-Rolex“-Verkäufer aus dem Senegal ein Gespräch auf. Er parliert englisch, französisch und wenn’s sein muss auch noch polnisch rückwärts mit dem Mann. Verstehen tut’s keiner so richtig, ist aber nicht weiter schlimm. Die Konversation erfüllt trotzdem ihren Zweck: Der rote Tsunami schweigt. Erstarrt über so viel Kommunikationsvermögen in so vielen Sprachen hat es ihm die eigene Sprache verschlagen.

Auf leisen Pfoten, wie er gekommen war, zieht der Tsunami wieder ab. Sanft weht das rote Haar im Wind.

Der Weiße Elefant von Palma

Koloss in bester Meereslage: Das unvollendete Kongresszentrum in Palma.

Koloss in bester Meereslage: Das unvollendete Kongresszentrum in Palma. Foto: Bopp

Die „Mallorca Zeitung“ will zurzeit von ihren Lesern wissen: „Was tun mit Palmas Kongress-Palast?“ Der Koloss in Meeresnähe ist die mit Abstand teuerste Bauruine der Insel. An eine Fertigstellung ist aus Kostengründen nicht zu denken, an einen Abriss auch nicht. Lösungsvorschläge gibt es viele. Lösungen nicht eine einzige.

Das alles kommt mir bekannt vor. Auch in Montreal steht so ein Weißer Elefant. Das 1976 erbaute Olympiastadion bibbert seit Jahren vor sich hin.

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„Big Owe“ in Montreal. Foto: Bopp

Das Stadion, wegen seiner Donut-förmigen Architektur ursprünglich „Big O“ genannt, heißt bei den Montrealern nur noch „Big Owe“ – der große Schuldenberg. Das Dach, eine Kevlar-Konstruktion, die auf das Konto des einstigen Star-Architekten Roger Tallibert geht, wurde schon so oft abgebaut, aufgebaut, repariert und wieder eingerissen, dass aus dem ursprünglich mit 134 Millionen Dollar angesetzten Bau ein Monstrum für 1.2 Milliarden Dollar wurde. Kanadier frotzeln gerne über die „teuerste Kopfbedeckung der Welt“.

Das Olympiadach war schon vor der Installation verschlissen

Ein Jahrzehnte dauernder Rechtsstreit war der Installation des Dachs vorausgegangen. Weil sich die Parteien nicht auf die Zahlungen einigen konnten, bröselte die innovative Konstruktion in einem französischen Lagerschuppen so lange vor sich hin, bis das Dach den Handwerkern buchstäblich in den Händen zerrann.

Doch auch das neue Dach erwies sich als Schrott. Die „Expos“, ein professionelles Baseballteam, das einst die Massen ins Stadion zog, wanderte frustriert in die USA ab. Auch die American Football-Mannschaft „Montreal Alouettes“ warf das Handtuch und verschwand von der Bildfläche. Spätestens als das Stadiondach während einer Autoshow mal wieder unter den Schneemassen einknickte, war das Vertrauen vollends hin.

Big-Bang-Theorie: Ein Omnibus-großes Stück Beton kracht auf die Erde

Heute verirrt sich noch gelegentlich eine Fertighausmesse ins überdachte Stadion. Auch die Veranstalter einer Monster-Truck-Veranstaltung sind waghalsig genug, unter dem brüchigen Dach ihre Stunts zu zeigen. Inzwischen leckt nicht nur die Kopfbedeckung, sondern auch das Gestell wurde Opfer der Big-Bang-Theorie: Ein Omnibus-großes Stück Beton löste sich vor nicht allzu langer Zeit aus dem Fundament und krachte auf die Erde.

Ein echter Verwendungszweck für das architektonisch durchaus ansprechende Gebäude fehlt. Auch in Montreal fragten Zeitungen und Radiosender einst ihre Leser: „Was soll aus dem Olympiastadion werden?“ Und auch hier, wie in Palma: Viele Vorschläge, keine Lösungen. Ein Abriss wäre zu teuer, an einen Umbau wagte sich bisher kein Konsortium.

Sparbüchse mit Riesenloch: Bis heute nicht abbezahlt

In Vergessenheit geraten wird das Olympiastadion bei den Montrealern trotzdem nicht. Bis vor kurzem flossen von jeder gekauften Packung Zigaretten 25 Cents in die Schuldenkasse. Abbezahlt ist der Koloss auch heute noch nicht.

Die kleine Bar von nebenan

barAlfonso weiss alles, blickt alles, kennt alles. Alfonso ist der Mann, der mir mein Mallorca schmackhaft macht. Jeden Tag aufs Neue. Er betreibt die Bar nebenan. Seine Stammkunden kennt er beim Namen. Und weil er meinen Vornamen nicht aussprechen kann, nennt er mich einfach beim Nachnamen, ohne herr und aber. Hart, aber herzlich.

Müsste ich Alfonso beschreiben, würde mir Roberto Benigni einfallen, der italienische Komiker, oder Woody Allan. Oder mein Sachbearbeiter vom Finanzamt, wenn er mal einen guten Tag hat. Alfonso ist nicht besonders klein und nicht besonders groß. Er ist nicht besonders schlank, aber keineswegs dick. Sein Haar ist nicht kurz und nicht lang, etwas licht, pechschwarz. Den Bart, den er trägt, sieht man oft bei Menschen, die für die Stadtwerke arbeiten. Technikerbart. Seine Brille? Naja, Brille eben.

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Kati und Alfonso

Das Herausragende an Alfonso sind nicht die Äußerlichkeiten. Die sind austauschbar. Es ist die Art, wie er sich bewegt (flink), wie er spricht (schnell), lacht (laut) und erzählt (viel). Das Herausragende an Alfonso ist Alfonso, das Gesamtkunstwerk.

Er erzählt von seiner Kindheit in einem mallorquinischen Dorf an der Küste, wo sein Vater im Hotel arbeitete und er ihm half, damit der alles schaffte, was man von ihm verlangte. Er erzählt von der Schule, die für ihn so gut wie nicht stattgefunden hat, weil er ja immer dem Papa beim Helfen helfen musste. Und wie er trotzdem, sehr spät im Leben, Lesen und Schreiben gelernt hat. Und er erzählt oft und gerne von seiner Frau Pepita, die er liebt wie am ersten Tag.

Ein Mann mit Herz und Herzensbldung

Alfonso ist ein Mensch mit Herzensbildung. Und mit Herz. Als er hört, dass das Restaurant schließt, in das er mit Pepita bei besonderen Anlässen oft zum Essen ging und dass Kati, die Köchin, jetzt arbeitslos wird, holt er Kati in seine Bar und lässt sie kochen. Seither serviert Alfonsos „Bar Born“ Mittagessen für 5 Euro, liebevoll zubereitet von Kati. Es gibt viel Eintopf mit Gemüse und Lamm- oder Schweinefleischbällchen. Nachtisch gibt es immer und manchmal auch Paella. Das dauert, aber das Warten wird belohnt. Ich habe selten bessere Paella gegessen als die von Kati.

Alfonso, der Pressesprecher

Wenn der Himmel blau ist, was in Mallorca öfter passiert, freut sich Alfonso, schickt dem Herrgott einen Gruß nach oben und könnte in diesem Moment jederzeit als Pressesprecher der Tourismusbehörde von Palma durchgehen. Er verkauft sein Land, seine Stadt, seine Insel perfekt. Und natürlich seine Bar. Fragt man ihn, was Kati heute zu Mittag kocht, rattert er nicht etwa die Speisekarte runter, nein. Er zelebriert seine eigene Peepshow, indem er den Hungrigen diskret zur Küchentür begleitet und Kati bittet, kurz den Deckel des Kochtopfs anzuheben. Spätestens in diesem Moment ist klar: Lunch wird heute in der Bar gegessen.

Notfalls kauft er bei der Konkurrenz

Alfonso merkt sich, was wer mag und was nicht. Die nonverbale Küchenkommunikation zwischen uns funktioniert seit Jahren perfekt. Hat er keine Ensaimada mehr in der Vitrine, weil dem Herrn Gast mal nach ausschlafen zumute war, diskutiert er nicht lange, was er stattdessen servieren könnte. Wortlos wirft er das weiße Servierhandtuch über die linke Schulter, sprintet mit kleinen Schritten ins Nachbarcafé und serviert Minuten später eine köstliche Ensaimada. So, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, der Konkurrenz eigens für seinen verspäteten Gast ein Stück Schmalzgebäck abzuluchsen.

Alles, nur keine Weinbergschnecken

Er warnt mich vor, wenn Katis Ragout Weinbergschnecken oder Leber enthält und weiss ebenso genau, dass ich keine „Festtags-Ensaimada“ esse. Das ist das süße Schmalzgebäck mit Wurstbelag – eine Delikatesse bei Mallorquinern, mit der er uns ausgerechnet zum Geburtstag überraschen wollte.

Fragt man Alfonso nach einem Copyshop zum Scannen, kennt er Name, Adresse und Telefonnummer auswendig. Fragt man ihn nach den besten Oliven, kennt er den Ort: bei sich. Hat in der Ferienwohnung eine seltene Glühbirne schlapp gemacht und der Teilzeit-Residente weiss sich keinen Rat, greift Alfonso zum Hörer, schickt den Tourist in den Eisenwarenhandel, wo der Verkäufer schon mit der Glühbirne in der Hand wartet.

Alfonso passt auf. Auch im Bus.

Und steigt der Fahrgast an der Haltestelle vor Alfonsos Bar just in dem Moment in die Nummer 15, da der Patron draußen die Tische abräumt, ruft er dem Busfahrer nach, er solle heute besonders vorsichtig fahren, sein Freund, der Gast, sei an Bord.

Ohne Alfonso wäre mein Mallorca ärmer.