Der Indian Summer ist hier! Und es ist, als würden die Wälder in Flammen aufgehen. Blutrot und purpur, orange, knallgelb und dazwischen ein Hauch von lindgrün. Die Indianer haben ihre eigene Erklärung für dieses Naturschauspiel: „Wenn der himmlische Jäger den Großen Bären erlegt hat, bedeckt das Blut die Wälder.”
Die Erklärung der Biologen ist weniger romantisch als der Mythos der Ureinwohner: Mit Beginn der kühleren Jahreszeit wird die Zuckerproduktion in den Bäumen gedrosselt. Nach den ersten kalten Nächten zerfällt der grüne Farbstoff Chlorophyll. Danach dominieren knallbunte Farben.
Von seiner schönsten Seite zeigt sich der Indianersommer hier, in der Provinz Québec. Ferienorte wie Mont Tremblant, St. Jovite oder Morin Heights veranstalten jedes Jahr um diese Zeit „Indian Summer“-Festivals.
In den Bergen der Laurentians, zwei Stunden nördlich von Montrėal, geht es während des Indian Summers nicht nur farblich hoch her. Auch kulinarisch werden sämtliche Register gezogen. Zum Apfelmost werden die neuesten Käsesorten der Québecer Fromagerien gereicht. Dazu gibt es gibt Flammkuchen oder Kürbissuppe.
Wer den Blutrausch erleben möchte, den der himmlische Jäger angerichtet hat, muss sich beeilen. Nur zwei, drei Tage bleiben die Bäume in voller Blüte. Dann fängt das Laub an zu schwächeln und die Bäume bekommen Schüttelfrost. Old Man Winter klopft an die Tür.
Zu den Fotos: Die Bilder sind in Hudson, am Lac Dufresne, in Montréal, in Rigaud und während eines Helikopterflugs mit meinem befreundeten Kollegen Gerd im Norden der Provinz Ontario entstanden.
Wer in den vergangenen drei Tagen versucht hat, uns anzurufen, anzumailen oder gar in unserem Haus zu besuchen, hat Pech gehabt. Wir waren im Busch. Vor 15 Jahren haben wir uns einen Uralt-Kanadatraum erfüllt: Ein eigenes Blockhaus, direkt am See. Es liegt ca. zwei Autostunden nördlich von Montréal, in den Bergen der Laurentians.
Genau genommen ist es kein richtiges Blockhaus. „Log cabins“ sind mit vollständigen, runden Stämmen gemacht. Unser Häuschen gilt bei Kanadiern als „Half log„, das heißt, es sind zum Bau nur jeweils die oberen und unteren Bretter eines Stammes verwendet worden. Das Häuschen hat eine Küche, zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Art überdachte Terrasse, die den Blick direkt auf den Lac Dufresne freigibt. Hier verbringen wir viele Wochenenden, aber auch ganze Wochen, wenn es die Zeit erlaubt.
Das Leben in der Hütte unterschiedet sich in vielen Dingen von dem zu Hause. Es gibt keine Autozufahrt zur cabin. Die letzte Strecke vom Auto zum Haus legen wir zu Fuß durch einen steilen und felsigen Bergwald zurück. Freunde von uns, die auf der anderen Seeseite eine Hütte haben, wählen den etwas bequemeren Weg. Sie stellen ihren Wagen am Ufer ab und paddeln mit dem Kanu über den See. Unser Blockhaus verfügt zwar über Strom. Aber es gibt kein fließendes Wasser, kein Telefon, kein Fernsehen und auch kein Internet. (UPDATE: Das hat sich inzwischen geändert. Neuerdings geht’s übers Handy ans Netz). Für einen Webjunkie nicht ganz einfach. Natürlich gibt es keine Dusche und auch kein WC. Dafür ein schnuckeliges „Outhouse„, ein Plumpsklo also.
Hier werden Sitzungen abgehalten
Motorboote werden von den Anwohnern nicht gerne gesehen. Die meisten Hüttenbewohner verzichten deshalb darauf und bewegen sich im Kanu, im Ruder- oder im Tretboot voran. Immer häufiger sind jetzt auch umweltfreundliche und absolut geräuschlose Elektromotoren zu sehen. Ein Hüttenbewohner strampelt manchmal mit einem Wasserfahrrad über den See. Es sieht aus wie ein herkömmliches Rad, hat aber zwei pontonartige Kufen, auf denen dieses seltsam anmutende Gerät schwimmt. Wenn ich daran denke, dass ein gewisser Mr. Geary die Hütte damals mit eigenen Händen gebaut hat, wird mein Respekt für diesen Kanadier grenzenlos. Jede Schraube, jeden Nagel, jedes Kilo Teer musste dieser inzwischen leider verstorbene Mann über den See rudern. Wir haben die Cottage damals von Mr. Gearys Familie gekauft, weil ihnen der Weg dorthin zu beschwerlich geworden war. Außerdem hatten die Geary-Kinder einfach kein Interesse mehr an der Hütte, weil sie in den Westen Kanadas gezogen sind.
August im Norden Kanadas: Es riecht nach Herbst
Der nächste Tante-Emma-Laden ist zwölf Kilometer entfernt. Lebensmittel und Trinkwasser bringen wir mit. Kochwasser entnehmen wir dem See. Brot wird selbst gebacken. Den Müll schleppen wir im Rucksack wieder zum Auto zurück. Alles sehr anstrengend, aber auch sehr befriedigend. Um diese Jahreszeit sind die Nächte im Norden schon ganz schön kühl. Tagsüber steigt das Thermometer aber noch bis in die 20er-Zone. An einem Abend kamen kanadische Freunde vom anderen Seeufer im Kanu angepaddelt. Wir haben zusammen gegessen und getrunken. Und weil plötzlich ein frischer Wind aufzog, haben wir zum ersten Mal seit dem vorigen Winter den Holzofen angemacht. Ein Glück, dass ich nachmittags schon Holz gehackt hatte – übrigens eine herrliche Art, sich körperlich zu betätigen. So schön dies alles klingen mag, so traurig ist es auch. Old Man Winter droht uns auf Schritt und Tritt mit seinem baldigen Besuch.
Kolibris: Tropische Vögel in der kanadischen Wildnis
Ein Seenachbar, der ständig am Lac Dufresne wohnt, erzählte uns, er habe noch nie so viele Bären gesehen wie in diesem Jahr. Das hat kurioserweise damit zu tun, dass es so viele Beeren gibt wie schon lange nicht mehr. Bären lieben Beeren. Und wenn der Bär hungrig ist und langsam schon mal für den Winterschlaf vorfuttert, verliert er seine Scheu und kommt, wenn es sein muss, auch ganz nahe an die bewohnten Hütten heran. Wir haben bisher noch keinen Bären zu Gesicht bekommen, dafür aber ein aufgeregtes, wildes Huhn, ein Häschen, eine Entenfamilie, einen Nerz, jede Menge Fische (die wir aber nicht fangen) und drei „Loons“. Das sind kanadische Seetaucher, deren unvergleichlichen Lock- und Angstruf jeder kennt, der schon mal in der kanadischen Wildnis unterwegs war. Dass es bei uns sogar Kolibris gibt – siehe Video weiter unten -, fasziniert mich jedes Jahr aufs Neue. Ich dachte immer, diese Vögel seien nur in den Tropen anzutreffen.