Abenteuer: „Into the Wahnsinn“

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Copyright: Spiegel-Online (Screenshot)

Spiegel-Online bringt heute eine Geschichte, die bei mir viele Erinnerungen weckt. Drei Deutsche, zwischen 19 und 21 Jahre alt, sind in Alaska vom Hochwasser eingekesselt worden. Eine Hubschrauberbesatzung musste sie schließlich retten. Die Touristen hatten die Stelle aufgesucht, an der in den 90er-Jahren ein Abenteurer namens Christopher McCandless tot aufgefunden worden war.

Die Location kenne ich gut. Ich habe sie besucht, als ich vor 21 Jahren eine Reportage für den PLAYBOY darüber geschrieben habe. Eine Art „Making Of“ gab’s in einem früheren Blogpost.

Ein Trapper hatte Christopher McCandless in einem ausrangierten Bus der Stadtbetriebe von Fairbanks entdeckt – irgendwo in der Wildnis. Wie jetzt die drei Deutschen, so war auch Christopher McCandless vom Hochwasser eingekesselt worden. Für ihn gab es keine Rettung.

Der Reportereinsatz von damals war der wohl spannendste meiner Korrespondentenzeit. Die Spurensuche für den “PLAYBOY” führte mich quer durch Amerika und endete im Bundesstaat Alaska.

Jahre später nahm sich Hollywood des Themas an. Daraus wurde der meiner Meinung nach grandiose Film “Into The Wild” von Sean Penn.

Hier geht’s zur Reportage: „Für den PLAYBOY in Alaska“

Blitzlichtgewitter in St. Henri

Schön ist es hier oben. Ein Gemeinschafts-Penthouse mit Billardtisch, Fernsehzimmer und einem Kamin für den kalten kanadischen Winter. Für den Sommer ein Schwimmbad mit coolen Liegestühlen, die einem die Sicht über downtown Montreal freigeben. Daneben Oleander, Hibiskus und andere exotische Blumen – die perfekte location für einen Photoshoot. Deshalb gewittert es manchmal auf unserer Dachterrasse.

Die Akteure dieses Blitzlichtgewitters sind: Eine Fotografin, ein Beleuchter, ein Schirmträger, eine Kabelschlepperin, eine junge Frau, die ziemlich wichtig zu sein scheint und eine ältere Frau, die möglicherweise weniger wichtig ist als sie tut. Irgendjemanden vergessen? Ach ja, die Models.

Das Model, das im Moment das Blitzlichtgewitter verursacht, ist blond, lächelt ziemlich hektisch, trägt einen Bikini von der Größe einer Babyserviette und bewegt sich vor der Kamera wie ein scheues Rehlein.

Während ich mich aus der für einen über Sechzigjährigen gebührenden Distanz an der neuen Bademode und deren Trägerinnen erfreue, fällt mir ein, dass ich irgendwann in meinem ersten Leben auch schon Model war.

Der Polizeireporter als Model für Bürostühle

In der Halle gegenüber der Waiblinger Kreiszeitung hatte sich eine kleine, aber feine Werbeagentur niedergelassen. Als einmal ein Schnellschuss für ein Büromöbel-Shooting anstand, rief der creative director in der Redaktion an. Sie bräuchten mal kurz einen gut gewachsenen Kerl, der nicht gerade aussieht wie der Glöckner von Notre-Dame. „Ich schick‘ euch unseren Polizeireporter“, höre ich Richard, den Chefredakteur, noch sagen. Und schon bin ich auf dem Weg ins Studio gegenüber.

Da sitze ich nun und werde gepudert und gekämmt, irgendjemand legt mir eine Krawatte an und zupft an meinem Hemdkragen. Vor mir ein wichtiger Leitz-Ordner und ein Fläschchen Apollinaris mit Glas. „Nicht trinken, nippen!“ warnt mich ein Mensch, den man vermutlich damals wie heute als Stylisten bezeichnet.

Der Bürostuhl, auf dem ich sitze und den es zu fotografieren gilt, mag hip sein, bequem ist er nicht. Das wiederum soll der Kunde später dem Foto im Prospekt freilich nicht ansehen. „Ganz locker, Junge“, weist der Stylist mich etwas entnervt an. „Entspann dich doch mal!“.

Du dich auch, denke ich nur. Aber was macht man nicht alles für 50 Mark.

Löcher in den Sohlen: Kein guter Start für eine Modelkarriere

Zurück in der Redaktion würde ich mich jetzt gerne für meine Modelpremiere feiern lassen. Doch der Anruf des Stylisten aus der Dunkelkammer holt mich schnell von Wolke sieben. „Deine Schuhe“, sagt der Chefredakteur, „sind nicht sehr fotogen“.

Die Jungs von der Redaktion brüllen jetzt vor Lachen und auch die gestrenge Sekretärin ringt sich ein „großartig!“ ab. Die Kamera lügt nicht: Zwei münzgroße Löcher in meinen Sohlen geben den Blick frei ins Eingemachte des Schuhbetts. Wir befinden uns in der vordigitalen Steinzeit. Photoshop kommt erst 35 Jahre später. Der Shoot muss wiederholt werden. Kein guter Start für meine Modelkarriere.

Und dann war da noch das Photoshooting für eine der ersten Ausgaben des deutschen Playboy-Magazins. Die Illustrierte „Quick“ hatte mich als Gewinner eines nicht besonders bedeutenden Journalistenpreises nach München eingeladen, um Zeuge dieses historischen Events zu werden.

Photoshooting beim „Playboy“

Wer das Model war, das sich vor meinen und mindestens 20 weiteren Augen nackt vor der Kamera räkelte, habe ich vergessen. Nicht so die Szene, wie eine Stylistin dem Covergirl den Bauchnabel schminkte und die Schamhaarfrisur toupierte. Und mittendrin der Bub aus Ummendorf.

Das alles geht mir in dem Moment durch den Kopf, als ich Zeuge des Fototermins auf unserer Gemeinschafts-Dachterrasse werde. Und während ich gedanklich noch irgendwo zwischen München und Waiblingen, zwischen Playboy und Büromöbeln schwelge, packt die Model-Karawane zusammen, das Blitzlichtgewitter zieht weiter. Zurück bleibt ein Gefühl von Schöner Wohnen in St. Henri.

Tod eines Abenteurers

Faszinierende Geschichte in „eines tages“, der heutigen Ausgabe von SPIEGEL-Online: Es ist die Geschichte von Christopher McCandless. Ein Trapper hatte die Leiche des 24jährigen Aussteigers vor genau 20 Jahren im Busch von Alaska entdeckt  – in einem ausrangierten Stadtbus der Verkehrsbetriebe von Fairbanks.

Unmittelbar nachdem McCandless tot in Alaska aufgefunden worden war, ging ich als Reporter für den „Playboy“ auf eine mehrwöchige Spurensuche durch die USA. Es wurde eine der faszinierendsten Reisen meines Lebens. Eine Art „making of“ gab’s vor einigen Monaten in diesem Blogeintrag.

Jahre später schrieb Jon Krakauer ein Buch über Leben und Tod des Amerikaners, der sich „Alex“ (nach seinem Vorbild Alexander des Großen) nannte. Mit „Into The Wild“ ist Sean Penn  2007 ein großartiger Film gelungen.

Als „Playboy“-Reporter in Alaska

Hinter kleinen Meldungen stecken oft große Geschichten. Ein Trapper habe die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, hieß es im Nachrichtenticker, irgendwo im Busch von Alaska. Bei dem Toten handle es sich um einen 24jährigen Aussteiger. Aus diesen dürren Worten ist die wohl spannendste Reportage meiner Korrespondenten-Zeit entstanden. Die Spurensuche für den „Playboy“ führte mich quer durch Amerika und endete in Alaska. Jahre später nahm sich Hollywood des Themas an. Daraus wurde „Into The Wild“ von Sean Penn.

Es war im Spätsommer 1992, als die Agenturmeldung über den Ticker kam. Tragisch zwar, wie viele guten Geschichten. Aber in der nachrichten-armen Zeit bestens geeignet für einen kurzen Radiobeitrag. Telefon-Recherche beim Sheriff in Fairbanks/Alaska – und fertig war das Stück. Am nächsten Tag berichtete ich für mehrere ARD-Sender über das tragische Schicksal des Christopher McCandless, der Tausende Kilometer von Zuhause tot aufgefunden worden war. Bis dahin: Reporter-Routine.

Abenteuer, Freiheit, Reisen, Frauen: Perfekt für eine „Playboy“-Reportage

Playboy-Ausgabe 11/1992

Dann passierte etwas Überraschendes: Ein Redakteur des Männermagazins „Playboy“ rief bei mir an. Er hatte den Beitrag auf (damals) SWF3 gehört. Der Kollege meinte, die Story enthalte sämtliche Elemente, die Playboy-Leser ansprechen: Abenteuer, Freiheit, Reisen. Und, wie sich später herausstellte, auch Frauen. Denn Christopher McCandless, der sich „Alex“ nannte, war ein Schwerenöter, den die Frauen liebten. Ob ich Lust hätte, fragte der Kollege aus München, für den Playboy zu recherchieren, wie aus dem Sohn einer wohlhabenden amerikanischen Familie ein Aussteiger geworden ist, der in Alaska, in the middle of nowhere, elendig zu Tode gekommen war.

Ein paar Tage später war ich on the road. Von Montréal aus führte mich die Reporterreise durch den amerikanischen Getreidegürtel nach South Dakota, Montana, Wyoming, später nach Seattle und von dort aus nach Alaska. In South Dakota verbrachte ich einige Tage mit dem Erntehelfer Wayne Westerberg, einem Navajo-Indianer, der von dänischen Eltern adoptiert worden war. Wayne war für Alex so etwas wie Vater-Ersatz. Alex, der kluge Kopf von der Ostküste. Wayne, der schlaue Fuchs aus South Dakota.

Mit Jack Daniels im Pickup-Truck durch die Prärie

Die Geschichte hinter der Geschichte habe ich den oft nächtelangen Gesprächen mit Wayne Westerberg zu verdanken. Zusammen fuhren wir in einem verbeulten Pickup-Truck durch die Prärie. In der linken Hand eine Flasche Jack Daniels, in der rechten das Lenkrad – so tuckerte ich mit diesem ungewöhnlichen Mann durch den mittleren Westen Amerikas.

Letzte Station meiner Reporter-Reise war Fairbanks/Alaska. Aufgrund der Tagebuch-Aufzeichnungen des jungen Aussteigers wusste ich, wer für mich als Zeitzeuge von Interesse sein könnte. Einer davon war Butch Killian, ein Fallensteller. Er war es, der den toten Alex in einem ausrangierten Stadtbus gefunden hatte – mitten im Busch.

Blockhüttenzauber beim Fallensteller in Alaska

Trapper Butch in Alaska

Fallensteller sind Nomaden ohne festen Wohnsitz. Den Trapper  Butch Killian in der Wildnis von Alaska zu finden, war eine der größten Herausforderungen meines Journalisten-Lebens. Eine zahnlose Indianerin hatte mir den Tipp in einem Coffee Shop am Highway #3 gegeben. Butch Killian lebte in einer Blockhütte im Wald.

Einsam, aber glücklich im Blockhaus

Als ich ihn antraf, tat er das, was Fallensteller so tun, wenn sie von der Trapline zurück kommen: Er häutete die Tiere, die er kurz zuvor gefangen hatte – kein schöner Anblick. Aber das stundenlange Gespräch mit diesem Naturburschen im Schein der Petroleumlampe machte mir einmal mehr deutlich: Es gibt mehr als eine Art zu leben. Butch Killian hatte ein einsames Leben gewählt. Aber, wie mir schien, ein glückliches.

Hier geht’s zur kompletten Playboy-Reportage:

Die komplette Playboy-Reportage finden Sie hier. Ich habe oft daran gedacht, die Erlebnisse meiner Reise zu einem Buch zu verarbeiten. Aber als freier Reporter kannst du dich nicht einfach monatelang vom tagesaktuellen Journalismus ausklinken. Und weil solche Geschichten einfach erzählt werden müssen, hat sich viel später erst ein weltbekannter Schriftsteller des Themas angenommen. Jon Krakauer schrieb den Abenteuerroman „Into The Wild“. Ich fand ihn mäßig gut recherchiert und alles in allem nicht sehr authentisch.

Großes Kino: Sean Penn verfilmte die Geschichte von Alex McCandless

Anders der Film, den viele Jahre später Sean Penn als Regisseur für Hollywood drehte. Eine filmisch brillante Umsetzung der Story. Eine Erzählung, die den Aussteiger Alex McCandless als das schilderte, was er war: Ein Abenteurer, der erst sein blitzgefährliches Schicksal heraufbeschworen hatte, um ihm anschließend in den Hintern zu treten.