iphone 6? Da lacht mein Motorola nur!

Hübsch sieht es aus, das iphone 6, das Apple vor knapp einer Stunde vorstellte. Natürlich werde ich mir das neueste Wunderwerk aus Cupertino kaufen – irgendwann, sicher nicht als door-crasher. Aber zu allererst gehören meine Gedanken an diesem Tag dem Motorola 3200. Es war das erste Handy meines Lebens – und das beste. Aus gegebenem Anlass ein Blogpost vom 17. Oktober 2011:

Mein erstes Handy hatte ich zwei Jahre vor dem Mauerfall. Es war ein Motorola 3200. Mausgrau und fast so lang wie mein Unterarm. Wegen seiner Form wurde es auch „Knochen-Handy“ genannt. Der Listenpreis lag damals bei 4000 Dollar. Es war das beste Handy, das ich je hatte.

Nein, es ist heute nicht alles besser als früher. Aber mein 87er-Handy: Wahnsinn! Die Garage, in der ich mir das Mobiltelefon für weniger als 1000 Dollar besorgte, lag mitten in einem trostlosen Montrealer Industriegebiet. Von welchem Lkw das Handy gefallen war, ehe es bei mir ein Zuhause fand, war mir egal. Ich musste ein Mobiltelefon haben. Wie James Bond, nur kleiner.

Sexy Stimme mit der neuen Liebe

Mein erster Anruf mit meiner neuen Liebe ging an meine alte Liebe. „Deine Stimme klingt sehr sexy“, sagte SIE. Spätestens jetzt hatte ich mich in mein Telefon verknallt. Die Treue zu IHR währte dann aber doch länger. Irgendwann kamen Smartphones auf den Markt. Die musste ich haben.

Den ersten Reportereinsatz mit meinem neuen Spielzeug hatte ich im Wald. Der SDR wollte ein Korrespondenten-Gespräch über den Indian Summer. Ich bestand darauf, für die Live-Schalte in den Wald zu gehen. Mit einer Hand hielt ich das Handy, mit der anderen rührte ich im Herbstlaub. Raschelnde Blätter – bessere O-Töne gibt es nicht für einen Beitrag über den Indianersommer. Das fand auch der Moderator. Von jetzt an schickten mich die Sender oft mit dem Mobiltelefon zu Live-Gesprächen.

Der „King of Gadgets“ war beeindruckt

Es passiert im Leben eines freischwebenden Journalisten im Ausland nicht oft, dass man seinen deutschen Kollegen in technischer Hinsicht voraus ist. Mit dem Handy hatte ich einen Volltreffer gelandet. Ich kannte Keinen, der zu dieser Zeit ein Handy hatte. Auch nicht mein Freund Frank, the King of Gadgets. Als er die Maschine zum ersten Mal in der Hand hielt, hätte er sie am liebsten mit nach Deutschland genommen. Denkste!

Gestern rief er hier an und ich musste an mein erstes Handy denken. Neben Frank saß fast seine komplette Familie. Gut sahen sie alle aus. Ich weiß das so genau, weil ich die Runde sehen konnte. Auf meinem Handy. Nicht über Skype. Sondern auf meinem iPhone über Facetime.

Empfang nur bei Wind Nordost und Sonnenschein

Bei meinem ersten Handy wäre das noch undenkbar gewesen. Dafür war die Tonqualität damals besser als heute mit dem iPhone. Und das Signal bärenstark. Sogar von unserer Blockhütte aus war Empfang möglich. Allerdings nur an einer ganz bestimmten Stelle, an regenfreien Sonnentagen bei Wind Nordost und wenig Blätterrauschen im Wald. So begeistert war ich damals von meiner Fundstelle, dass ich sie mit Bleistift markierte.

Neulich gab es nach Jahren der mobiltechnischen Enthaltsamkeit wieder eine Erfolgsmeldung aus der Hütte: Der Sohn hatte das Kreuzchen entdeckt und sein Handy genau an der der Stelle positioniert, an der schon der Knochen funktioniert hatte. Auch diesmal klappte die Verbindung. Allerdings nicht mit einem Motorola und auch nicht mit dem iPhone. Es war ein Blackberry.

Da sage noch einer, die Firma sei auf dem absteigenden Ast.

Reporter-Einsatz in Afrika

Manchmal genügen eine kleine Geste, eine kurze Mail, um an seine Anfänge erinnert zu werden. Mein Kumpel Klaus meldet sich eben aus Hammamet in Tunesien. Osterurlaub mit Frau und Kids. Weg vom Berliner Winter, der sich Frühling schimpft. Was Klaus nicht wissen kann: Meine allererste Auslandsreise als Journalist führte mich ebenfalls nach Hammamet. Das war 1969.

„Geh da hin!“, hatte Chefredakteur Richard Retter entschieden. Wer 20 ist und sich seine Sporen als Journalist erst noch verdienen muss, lässt sich nicht zweimal bitten, nach Afrika zu reisen. Auch wenn es nur Nordafrika ist, klang es ungemein exotisch, fern und fremd: Tu-ne-si-en! „Warum Tunesien?“, will ich vom Chef wissen. „Die bauen dort unten ein Hotel nach dem anderen und hoffen auf den großen Durchbruch im Tourismus“.

Aber was hatte ein Lokalredakteur ausgerechnet in Tunesien zu suchen? Die Wahrheit ist: Nichts. Aber der beste Chef, den ich je hatte, war nicht nur ein glänzender Journalist. Er war auch Stratege durch und durch. Mit Gesten wie diesen verstand es Richard Retter, Nachwuchsjournalisten bei Laune zu halten. So war die Afrikareise ein Ausgleich für viele, oft gähnend langweilige Stadtratssitzungen und andere Abendtermine, die so ein Jungredakteur über sich ergehen lassen muss.

Du bist jung und du willst reisen

Was der alte Fuchs eher nebenbei erwähnte, mich aber nicht weiter störte: Die Auslandsreise kostete den Verlag keinen Pfennig. Ein Reiseveranstalter hatte eine Handvoll Journalisten eingeladen, die Werbetrommel zu rühren. Heute ein höchst verwerfliches Unterfangen, weil Kommerz und objektiver Journalismus nicht zusammen passen. Aber du bist jung und hast kein Geld. Und du willst reisen. Wo ist das Problem?

Die Trip von Stuttgart nach Hammamet war meine erste Flugreise überhaupt. Aber ich würde einen Teufel tun, meine Flieger-Premiere durch unsicheres Jungspund-Verhalten an die große Glocke zu hängen. Cool sein galt auch damals schon als cool. Nur hieß es damals noch „modern“, oder „fortschrittlich“. Cool im Sinne von cool war noch weit weg. Ich hatte übrigens nicht den Eindruck, dass die anderen Mitreisenden in dieser fliegenden Sardinenbüchse schon mal geflogen waren. Aber auch sie beherrschten die Spielregeln des Weltbürgers vom Lande perfekt. Fliegen? Pah! Jede Woche. Mindestens. Ach was, täglich!

Am Strand von Hammamet 1968 © Bopp

An die Ankunft in Hammamet erinnere ich mich aus zweierlei Gründen noch sehr genau. Zum einen war es heißer als ich es je zuvor erlebt hatte. So heiß, dass selbst das tunesische Begrüßungskommitee unter den schneeweißen Kaftans schwitzte. In besonders schöner Erinnerung geblieben ist mir jedoch der Song, der zur Begrüßung der Tourismus-Pioniere aus dem Schwabenländle gespielt wurde. Eine Band, für die am Flughafen eigens eine kleine Tribüne aufgebaut worden war, spielte „In The Summertime“ von Mungo Jerry. Einen cooleren Sommerhit hatte ich bis dahin nie gehört. Und möglicherweise auch danach nicht.

Zur Begrüßung: Jasminsträuße und Mungo Jerry

Alles passte. Auch die tunesischen Mädchen, die Touristen und Journalisten mit Jasmin-Sträußchen begrüßten. Und die Jungs, die, als würde Mungo Jerry alleine seiner Aufgabe nicht gerecht, unentwegt ihre Bongos traktierten. (Von denen ich später, natürlich, ein Exemplar als Souvenir mit nach Hause nehmen würde).

Das erste Hotel, das es zu testen galt, war eine Ansammlung von kleinen Bungalows, unweit vom Strand. Theoretisch hätte man bei klarer Sicht bis nach Sizilien sehen müssen. Aber was ist schon Sizilien/Europa gegen Hammamet/Afrika. Das zweite Hotel war ein für damalige Verhältnisse ziemlich ungehobeltes Stück Architektur, ein Klotz von einem Betonbau, wie sie später noch zigtausendfach an jedem Strand der Welt aus dem Boden gestampft wurden.

Im Hotel Nummer eins unterschied sich das Essen nur in Details von dem, was ich bis dahin kannte. Es wurden zwar weder Spätzle noch Maultaschen serviert, aber Spaghetti, Steak und allerlei Hirse- und Gemüsesorten. Kein Kartoffelsalat. Im zweiten Hotel gab es jeden Tag drei Speisen zur Auswahl: Lamm mit Reis, Lamm mit Couscous und gegrilltes Lamm. Dabei war Ostern längst vorbei.

Mit dem Landrover in Richtung Libyen

An irgendeinem dieser glühend heißen Wüstentage stand ein verbeulter und auch sonst arg geschundener Landrover vor dem Hotel. Der Reiseveranstalter hatte den 4Wheeler einigen Journalisten zur Verfügung gestellt. Zusammen mit ein paar Kollegen ging es durch die Wüste, nach Nabeul, und weiter in Richtung Libyen. Irgendwann fing die Wüste an zu leben. Am Rand der staubigen Schotterstraße tauchten Kamele auf, eine ganze Herde davon. Armin, an diesen Namen erinnere ich mich noch genau, Armin aus Nürnberg stand auf die Bremse. Keiner von uns hatte je zuvor Kamele in der freien Wildbahn gesehen.

Wir ließen den Landrover am Straßenrand stehen und machten uns zu Fuß in Richtung Savanne auf, wo die braunen Riesen gemächlich Wasser zu sich nahmen. Gänsehaut! Das Gefühl, das mich beim Anblick dieser Kolosse beschlich, ist noch am ehesten vergleichbar mit dem erregten Schaudern, das viele Jahre später der erste Grizzlybär im Yukon bei mir auslöste.

Schlachtruf der Wüstenkinder: „Chiclets! Chiclets!“

So fasziniert waren wir von diesen Wüstenschiffen, dass keiner von uns den Jeep im Auge behalten hatte, der uns wieder nach Hammamet zurück bringen sollte. Hatten wir uns wenige Minuten zuvor noch mitten in der Wüste wie die einzigen Erdbewohner gefühlt, so wurden wir jetzt Zeuge eines kleinen Menschenauflaufs: Ein Dutzend Kinder oder mehr hatten sich Zugang zum offenen Landrover geschaffen. „Chiclets! Chiclets!“, tönte es jetzt wie ein Schlachtruf aus dem Mund der Kinder. Kaugummi wollten sie haben. Als hätte jeder Weiße eine Tasche voll Pfefferminzgummi in petto.

Den Chiclets-Chor habe ich nie vergessen. Noch heute stecke ich mir ein paar Packungen Kaugummi in die Tasche, wenn ich in abgelegenen Gegenden unterwegs bin. Und als Schlachtruf habe ich „Chiclets! Chiclets!“ zum letzten Mal vor einigen Jahren in Kuba wieder gehört. Aber kein Kamel weit und breit.

Tschüss, alter Roadrunner!

Wer sich vorgenommen hat, sein Leben zu entrümpeln, muss auch loslassen können. Von Dingen, die sich im Laufe der Jahre so ansammeln. Was geht? Was bleibt? Und überhaupt: Wer soll denn schon (m)ein ausrangiertes Übertragungsgerät für Radioreporter kaufen? Zum Beispiel ein schrulliger Engländer. Auf ebay.

Er hat mir gute Dienste geleistet, mein „Roadrunner“. Ein grauer Kasten im Schuhschachtel-Format, der dazu diente, meine Radiobeiträge in Studioqualität an sämtliche ARD-Sender zu übermitteln. Tausende von Hörfunk-Reportagen aus Kanada, Alaska und anderen Teilen der Welt wurden durch diese Box geschleust, ehe sie in Deutschland im Radio zu hören waren. Doch wie das so ist mit der Technik: Die Zeiten ändern sich. Mein Roadrunner hatte das Ende der Straße erreicht und wurde ausrangiert.

Die Staubschicht wird dicker, die Neugier steigt

Zehn Jahre schlummert die Kiste im Keller. Als die Staubschicht immer dicker wird und das Internet immer ausgefeilter, kommt der junge Sohn auf eine Idee, auf die nur junge Söhne kommen können: „Verkauf die Kiste doch auf ebay“. Ebay? Ich? Der es nicht einmal schafft, ein drei Jahre altes Fitnessgerät zum Fünfzigstel des Einkaufspreis in der Lokalzeitung zu verscherbeln? Ohne mich.

Goldmine Roadrunner

Doch die Neugier siegt. Wer sich beruflich mit dem Internet befasst, sollte irgendwann in seinem Leben auch ebay-Erfahrung gesammelt haben. Also: Anzeige aufgesetzt. Foto rein. Bedienungsanleitung dazu. Fertig. Was fehlt, ist der Kaufpreis. Anruf beim Hersteller in den USA: „Was kann ich für den Roadrunner verlangen, ohne wegen Halsabschneiderei geteert und gefedert zu werden?“ – „Nichts“, sagt der freundliche Mensch vom Kundenservice des Nachfolge-Produkts fast entschuldigend. Und dann, meine Verzweiflung ahnend: „Sie können es ja mal mit 500 Dollar versuchen“.

Die Anzeige auf ebay lautet: Zu verkaufen: Roadrunner – Mindestangebot 500 Dollar. „Sehr lustig“, sagt die Frau an meiner Seite. „Sehr mutig“, meint der Sohn. Erster Tag: nichts. Zweiter Tag: nichts. Dritter, vierter, fünfter Tag: nichts. Sechster Tag: Ein Typ aus Florida bietet 800 Dollar. Achthundert Dollar? „Nicht verkaufen!“, feuert mich der Sohn an, seit Jahren routinierter ebay-Ein- und Verkäufer. „Dranbleiben, da kommt noch mehr!“ Ein 800-Dollar-Angebot für ein Produkt abzulehnen, das an Wertlosigkeit nicht zu unterbieten ist, grenzt an Dummheit. Weitere Kontaktanfragen gibt es nicht. Vergessen wir’s einfach.

2 750 Dollar für eine ausgemusterte Schuhschachtel

Zehnter Tag: Zahnarzttermin. Zwischen Spritze und Plombe ein Gedankenblitz: Was ist eigentlich mit dem Roadrunner? Nach der Rückkehr sofort ins Netz, ebay checken. Unglaublich! Menschen aus aller Welt balgen sich im Internet um meine digitale Schuhschachtel. In zehn Minuten läuft die Versteigerung ab. 1000 Dollar. 1200. 1600. 2000. 2500. Zweitausendsiebenhundertfünfzig Dollar! Ich fasse es nicht. Gerade mal 100 Dollar Wertverlust in zehn Jahren – ebay macht’s möglich.

Der Käufer, ein Engländer, sammelt Technik-Schnickschnack aus aller Welt. Ich stelle mir vor, dass mein Roadrunner jetzt einen Ehrenplatz zwischen dem ersten Apple-Computer und dem letzten Grundig-Röhrenradio hat.

Ein schöner Gedanke.

Abenteuer Online-Journalismus

Günther Jauch gehört nicht zu meinen Lieblings-Moderatoren. Trotzdem sehe ich mir seine Talkshow an. Als Livestream im Internet. So weiß ich, dass es am Sonntag im Gasometer um Schulkinder ging, die in Deutschland immer fetter werden. Herr Lauterbach, der Dauergast mit Fliege, ist mir inzwischen so vertraut, dass ich ihn gerne zum Kaffee einladen würde.

Wir könnten uns dann über all die anderen Talksendungen unterhalten, in denen er schon aufgetreten ist. Vielleicht würde er sich wundern, wie gut ich Bescheid weiß über sein Fernsehleben. Manchmal wundere ich mich selbst, warum ich mir all die deutschen Talkshows ansehe, wo wir doch seit 30 Jahren in Kanada leben. Ja, warum eigentlich? Ganz einfach: Weil ich’s kann. Das Internet macht’s möglich.

Damals: Zeitungsstapel vor dem Kiosk.

Wäre das schon vor 30 Jahren der Fall gewesen, hätte ich mir viel Mühe ersparen können. Vermutlich wäre mein Leben aber auch weniger bunt und abenteuerlich verlaufen.

Sperrig, mühsam und teuer

Die Suche nach täglich frischen Themen, die damit verbundene Recherche und schließlich die Übermittlung der fertigen Beiträge – das alles war damals sehr mühsam, teuer und aufwendig. Fernschreiber statt Fax und Email. Sperriges Aufnahmegerät statt digitales Flash-Mikrofon. Kamera statt Mausklicks.

Achtung, Opa erzählt aus dem Krieg: Als ich 1983 anfing, ARD-Sender mit Kanada-Themen zu beliefern, begann mein Tag oft schon um vier Uhr morgens. Mein Weg führte mich dann vor den Kiosk um die Ecke, wo die noch verschnürten Zeitungen jungfräulich darauf warteten, gelesen zu werden. Ich tat ihnen den Gefallen. Denn wo sonst sollte ich meine Themen herbekommen, die ich hinterher den Sendern anbieten würde?

Die Kanada-Exotik ist mit dem Internet abgeblättert

Internet gab es nicht und Kanada war damals noch weit weg in den Köpfen der meisten Deutschen. Wenn ich durch die Republik reiste, um in den Redaktions-Konferenzen Geschichten zu erzählen, die nach Abenteuer und Freiheit klangen, sah ich bei manchen Kollegen ein Leuchten in den Augen, das mir signalisierte: „Ich will auch!“ Heute eher: „Nicht schon wieder!“ Globalisierung auf Kosten der Exotik. Schuld daran ist das Internet. Was gestern noch wild, weit und fremd erschien, kann sich heute fast jeder mit einem Mausklick ins Haus holen.

fotohubpagesEs war ein tolles Leben, das ich als junger, freischaffender Kanada-Korrespondent für die ARD führte: Montréaler Altbauwohnung im angesagten Stadtteil Notre-Dame-de-Grâce. Meist freie Hand bei der Themenauswahl. Mein Chef war der Anrufbeantworter. Ob der Korrespondent den Tag lieber im Büro, auf Reisen oder gar am Strand verbringen sollte – darüber entschied nicht selten der Blick auf den Kontoauszug. Nur wenige freie Journalisten im Ausland hatten damals das Glück, nicht nur überleben, sondern gut leben zu können. Die anderen Glücklichen, die ich kannte, waren ein Kollege in New York, einer in Los Angeles und später noch einer in Washington.

Mit der deutschen Nabelschau nahm die Kanada-Exotik ab

Doch irgendwann änderten sich die Zeiten. Die Budgets der Sender wurden kleiner, die Sendeplätze weniger. Themen, die noch vor kurzem den Telefonhörer zum Glühen gebracht hätten, blieben immer häufiger als Vorschläge in der Schublade. Plötzlich war Deutschland mehr mit sich selbst beschäftigt: Mauerfall, Spendenskandal, Ost-West-Zusammenführung. Und Internet. Keiner der freien Korrespondenten blieb von den Folgen der deutschen Nabelschau verschont. Die Auftragslage forderte uns zum Umdenken auf. Zeit für Plan B. Der hieß bei mir: Onlinejournalismus.

Heute: Mausklick zur Recherche.

Weitsichtige und kluge Kollegen haben mir den Weg ins Internet als Geschäftsmodell geebnet. Jetzt waren Medienanalysen für Sender gefragt, Programm-Beobachtungen und multimediale Innovationen. Standen die Konzepte dann, wurden sie in Seminaren umgesetzt, die mich zu zahlreichen Hörfunk- und Fernsehsendern und Medienakademien führten. Viele KollegInnen, die es im Radio und Fernsehen bereits zu etwas gebracht hatten, mussten plötzlich umdenken. Tagesaktueller Journalismus im Internet ist eine neue Baustelle, die gelernt sein muss.

Ich hatte das Glück, von Anfang an dabei zu sein. Onlinejournalismus mag nicht ganz so aufregend sein wie Reporterreisen zu Cree-Indianern und nach Alaska. Aber es ist anders. Anders schön. Und auch anders aufregend. Für den Kick sorgt jetzt der Klick.

Danke, Stefan. Danke Frank. Danke Dorothee.

Als „Playboy“-Reporter in Alaska

Hinter kleinen Meldungen stecken oft große Geschichten. Ein Trapper habe die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, hieß es im Nachrichtenticker, irgendwo im Busch von Alaska. Bei dem Toten handle es sich um einen 24jährigen Aussteiger. Aus diesen dürren Worten ist die wohl spannendste Reportage meiner Korrespondenten-Zeit entstanden. Die Spurensuche für den „Playboy“ führte mich quer durch Amerika und endete in Alaska. Jahre später nahm sich Hollywood des Themas an. Daraus wurde „Into The Wild“ von Sean Penn.

Es war im Spätsommer 1992, als die Agenturmeldung über den Ticker kam. Tragisch zwar, wie viele guten Geschichten. Aber in der nachrichten-armen Zeit bestens geeignet für einen kurzen Radiobeitrag. Telefon-Recherche beim Sheriff in Fairbanks/Alaska – und fertig war das Stück. Am nächsten Tag berichtete ich für mehrere ARD-Sender über das tragische Schicksal des Christopher McCandless, der Tausende Kilometer von Zuhause tot aufgefunden worden war. Bis dahin: Reporter-Routine.

Abenteuer, Freiheit, Reisen, Frauen: Perfekt für eine „Playboy“-Reportage

Playboy-Ausgabe 11/1992

Dann passierte etwas Überraschendes: Ein Redakteur des Männermagazins „Playboy“ rief bei mir an. Er hatte den Beitrag auf (damals) SWF3 gehört. Der Kollege meinte, die Story enthalte sämtliche Elemente, die Playboy-Leser ansprechen: Abenteuer, Freiheit, Reisen. Und, wie sich später herausstellte, auch Frauen. Denn Christopher McCandless, der sich „Alex“ nannte, war ein Schwerenöter, den die Frauen liebten. Ob ich Lust hätte, fragte der Kollege aus München, für den Playboy zu recherchieren, wie aus dem Sohn einer wohlhabenden amerikanischen Familie ein Aussteiger geworden ist, der in Alaska, in the middle of nowhere, elendig zu Tode gekommen war.

Ein paar Tage später war ich on the road. Von Montréal aus führte mich die Reporterreise durch den amerikanischen Getreidegürtel nach South Dakota, Montana, Wyoming, später nach Seattle und von dort aus nach Alaska. In South Dakota verbrachte ich einige Tage mit dem Erntehelfer Wayne Westerberg, einem Navajo-Indianer, der von dänischen Eltern adoptiert worden war. Wayne war für Alex so etwas wie Vater-Ersatz. Alex, der kluge Kopf von der Ostküste. Wayne, der schlaue Fuchs aus South Dakota.

Mit Jack Daniels im Pickup-Truck durch die Prärie

Die Geschichte hinter der Geschichte habe ich den oft nächtelangen Gesprächen mit Wayne Westerberg zu verdanken. Zusammen fuhren wir in einem verbeulten Pickup-Truck durch die Prärie. In der linken Hand eine Flasche Jack Daniels, in der rechten das Lenkrad – so tuckerte ich mit diesem ungewöhnlichen Mann durch den mittleren Westen Amerikas.

Letzte Station meiner Reporter-Reise war Fairbanks/Alaska. Aufgrund der Tagebuch-Aufzeichnungen des jungen Aussteigers wusste ich, wer für mich als Zeitzeuge von Interesse sein könnte. Einer davon war Butch Killian, ein Fallensteller. Er war es, der den toten Alex in einem ausrangierten Stadtbus gefunden hatte – mitten im Busch.

Blockhüttenzauber beim Fallensteller in Alaska

Trapper Butch in Alaska

Fallensteller sind Nomaden ohne festen Wohnsitz. Den Trapper  Butch Killian in der Wildnis von Alaska zu finden, war eine der größten Herausforderungen meines Journalisten-Lebens. Eine zahnlose Indianerin hatte mir den Tipp in einem Coffee Shop am Highway #3 gegeben. Butch Killian lebte in einer Blockhütte im Wald.

Einsam, aber glücklich im Blockhaus

Als ich ihn antraf, tat er das, was Fallensteller so tun, wenn sie von der Trapline zurück kommen: Er häutete die Tiere, die er kurz zuvor gefangen hatte – kein schöner Anblick. Aber das stundenlange Gespräch mit diesem Naturburschen im Schein der Petroleumlampe machte mir einmal mehr deutlich: Es gibt mehr als eine Art zu leben. Butch Killian hatte ein einsames Leben gewählt. Aber, wie mir schien, ein glückliches.

Hier geht’s zur kompletten Playboy-Reportage:

Die komplette Playboy-Reportage finden Sie hier. Ich habe oft daran gedacht, die Erlebnisse meiner Reise zu einem Buch zu verarbeiten. Aber als freier Reporter kannst du dich nicht einfach monatelang vom tagesaktuellen Journalismus ausklinken. Und weil solche Geschichten einfach erzählt werden müssen, hat sich viel später erst ein weltbekannter Schriftsteller des Themas angenommen. Jon Krakauer schrieb den Abenteuerroman „Into The Wild“. Ich fand ihn mäßig gut recherchiert und alles in allem nicht sehr authentisch.

Großes Kino: Sean Penn verfilmte die Geschichte von Alex McCandless

Anders der Film, den viele Jahre später Sean Penn als Regisseur für Hollywood drehte. Eine filmisch brillante Umsetzung der Story. Eine Erzählung, die den Aussteiger Alex McCandless als das schilderte, was er war: Ein Abenteurer, der erst sein blitzgefährliches Schicksal heraufbeschworen hatte, um ihm anschließend in den Hintern zu treten.