Québec ist zwar – noch – keine eigene Nation. Aber ein Nationalgericht haben die Frankokandier schon mal auserkoren: Poutine. Wie Putin. Nur ohne Wladimir. Dafür mit Pommes, Käse und Schlabbersoße. Jeder kennt es hier. Angeblich soll es auch jeder lieben. Nur ich nicht. Ich hasse es. Seit gestern weiss ich, warum ich 30 Jahre gewartet habe, ehe ich mich zum Selbstversuch überwinden konnte.
Wie ein Schneeberg, auf den es Gülle geregnet hat

Soll süchtig machen: Poutine
Ich esse gerne. Jedem, der mich kennt, wird dieser Satz ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Okay. Ich esse nicht nur gerne. Saugern sogar. 15 Kilo Hüftgold sind der Beweis. In Kanada nennt man die Welle um den Wanst übrigens „love handles“. Auch nett. Dass ich trotz meiner Genussfreude in all den Jahren nie die Leibspeise meiner Québecker Landsleute probiert habe, spricht Bände. Ich hatte einfach keinen Bock auf Poutine. Allein schon des Aussehens wegen. Über einen Berg von heißen Pommes legt sich eine weiße Schicht mit geschmolzenem Käsebruch. Damit es der heiße Schmelzkäse auf den heißen Pommes auch schön warm hat, wird über das Ganze eine heiße Bratensoße aus der Tüte gegossen. Jetzt sieht die Delikatesse aus wie ein Schneeberg, auf den es Gülle geregnet hat. Und – pardon, mes amis québecois! – so ähnlich schmeckt es auch.
Dass ich überhaupt auf die verwegene Idee gekommen bin, mir Poutine anzutun, geht auf das Konto von Julian. Er ist der Sohn meiner Cousine Margret im schwäbischen Ravensburg und hat als Zivi ein Jahr in Québec verbracht. Gestern nun diese Mail von ihm:
Jetzt auch in Deutschland: Geheimrezept vom Edeka
„Als ehemaliger Québecois auf Zeit ist mir nach anfänglichen Bedenken die Poutine doch sehr ans Herz gewachsen. Leider fehlte mir bisher zur Zubereitung dieser reichhaltigen Mahlzeit die richtige Käseart. Diesen Sommer hab ich nun endlich die temporäre Lösung entdeckt: Ein griechischer Grillkäse aus dem Edeka. Es schmeckt zwar nicht gleich, aber es schmeckt. Ça fait la job – wie der Québecois sagen würde.“ Und dann noch der Satz, der mir keine andere Wahl als den Selbstversuch ließ: „Thema Poutine ist bestimmt in absehbarer Zeit auch ein Thema für deinen Blog, oder?“ Klar doch, Julian. Schließlich lässt man die Verwandtschaft nicht im Stich.
Kreiert wurde Poutine angeblich in den fünfziger Jahren. Eine Gruppe von Holzarbeitern soll in einem Fastfood-Diner endlich nach „anständigem Essen mit vielen Kalorien“ verlangt haben. Ein gewisser Monsieur Ferdinand Lachance hatte Erbarmen mit den Jungs und servierte in seiner Kneipe den Pommes-Käse-Soßen-Mix. Dieser kulinarische Anschlag, fand der Koch, sei doch „poutine„, ein wildes Durcheinander also. Der Siegesmarsch der Québecker Leibspeise war schon bald nicht mehr aufzuhalten.
Schlimmer geht’s nimmer: Poutine mit heißer Schokoladensoße
Inzwischen ist Poutine längst salonfähig geworden. Ein Spezialitätenrestaurant in Montréal serviert mehr als ein Dutzend verschiedene Sorten. Unter anderem mit Blaubeersoße auf dem Käse. Oder Tomaten-Knoblauchsoße. Oder mit heißer Schokolade.

Poutine-Fress-WM in den USA: 750 Dollar für 5.8 Kilo Schlonze
Zum Leidwesen der Québecker wird Poutine längst auch in anderen Teilen des Landes und sogar in den USA serviert. Und, schlimmer geht nimmer: Ausgerechnet in den USA fand vor zwei Jahren die erste Weltmeisterschaft im Poutinefressen statt. Sieger wurde ein gewisser Pat „Deep Dish“ Bertoletti aus Chicago. Er verdrückte in der kürzesten Zeit 5.8 Kilo Poutine. Dafür gab’s eine Trophäe und 750 Dollar.
Kein Pardon vom kanadischen Premierminister
Vor zwei Jahren wurde Poutine sogar zum Politikum. Zu einer „Canada Day„-Party in der kanadischen Botschaft in Washington hatten Witzbolde ein Poster mit Samuel de Champlain, einem der Entdecker Kanadas, aufgehängt. Im historischen Gewand trägt Monsieur de Champlain nicht sehr würdevoll ein Tablett mit dampfender Poutine vor sich her. Québecker Separatisten fürchteten um den guten Ruf ihrer Nationalspeise und verlangten eine offizielle Entschuldigung des kanadischen Premierministers. Sie steht noch aus.