Kanada – ein teures Vergnügen

essen

Zwei Zahlen konnte ich mir bei meiner Einwanderung nach Kanada gut merken: Mein Gewicht betrug 1973 genau 73 Kilo. Und der Liter Sprit kostete in der 24-Stunden-Tankstelle lächerliche 24 Cents. Benzin kostet heute mehr als das Fünffache. Und das Gewicht … naja, lassen wir das.

Aus dem einstigen Billigland Kanada ist ein teures Pflaster geworden. Das gilt ganz besonders für die Provinz Québec. Der Benzinpreis ist mittlerweile bei $ 1.32 pro Liter angekommen, eine Packung Zigaretten kostet um die 9 Dollar, etwa so viel wie ein Glas Wein. Für zwei Gläser Prosecco habe ich am Muttertag 30 Dollar bezahlt, Trinkgeld inklusive.

Verrückt? Vielleicht. Aber nicht ich, sondern der Staat, der ständig die Hand aufhält. In meiner Stammbar in Palma kosten das Glas Wein 1.80 Euro und die Cola 2.20 Euro. Das nenne ich ein gesundes Preisleistungsverhältnis. Vor allem beim Wein.

In Québec sind die Lebenshaltungskosten besonders hoch. Nicht dass die Kneipiers, die Café-Besitzer oder die Klamottenläden den dicken Reibach machen. Es ist der Staat. Dabei wird viel Augenwischerei betrieben. Ein Essen wird auf der Speisekarte für 20 Dollar angeboten, schlägt auf der Endabrechnung aber mit $ 26 zu Buche. Warum? Weil 15 Prozent Steuern (Bund und Land) sowie ein ortsübliches Trinkgeld von weiteren 15 Prozent dazu kommen. Macht zusammen: Speisekarten-Preis plus 30 Prozent. Bei drei Essen isst der Staat mit und du bezahlst schon fast für vier.

Kellner beklagen in diesem Zusammenhang immer wieder das Trinkgeldverhalten deutscher und Schweizer Touristen. Viele von ihnen glauben, mit Aufrunden sei es getan. Ist es aber nicht. In Kanada lebt das Servicepersonal, abgesehen von einem Minimal-Stundenlohn, in erster Linie vom Trinkgeld. Üblich sind 15 bis 20 Prozent.

Dazu kommt, dass Kellnerinnen ihre Tipps oft mit vielen Menschen teilen müssen – vom Türsteher bis zum Koch. Und auch hier spielt der Staat Steuermann. Stichproben beim Servicepersonal sind inzwischen die Regel. Gelegentlich muss es sich auch der Gast gefallen lassen, nach dem Verlassen des Restaurants von Steuerbeamten belästigt zu werden. Hat ihm der Wirt keinen offiziellen Beleg mit ausgewiesener Steuer auf den Weg gegeben, kann es dem Gastronom an den Kragen gehen.

In Vieux-Montréal, der Haupt-Touristenattraktion in Montréal, traute ich gestern meinen Augen nicht. Es gibt dort einen kleinen, künstlich angelegten See, auf dem man Tretboote mieten kann. Der Preis: 19.90 Dollar für 30 Minuten. Der Staat schwimmt mit.

Stimmt: In Deutschland und der Schweiz ist das Preisniveau auch nicht von Pappe. Aber wenigstens halten dort Sozialleistungen, Gehälter und Löhne mit den Ausgaben Schritt. Dieses Gefühl habe ich in Kanada nicht. Ein Uni-Absolvent mit Bachelor-Abschluss und zwei Jahren Berufserfahrung in den Medien geht mit etwa 32.000 Dollar nach Hause. Das sind rund 25.000 Euro. Brutto. Dazu gibt’s dann gerade mal zwei Wochen bezahlten Jahresurlaub. So richtig gut leben ist anders.

Über den Dächern von Palma

antennen

So langsam fühle ich mich richtig heimisch auf Mallorca. Alfonso von der Bar nebenan lässt mich immer tiefer in sein Leben blicken, spricht von der Krise, die auch Mallorca erreicht hat. Uwe, ein Residente aus Deutschland, erzählt mir im Café von seinen turbulenten Jahren auf der Insel und von Deutschen, die am liebsten Deutsche über den Tisch ziehen. Und jetzt auch noch Carlos und Marco, die beiden Fernsehtechniker. Sie bringen einen Hauch von Québec in mein mallorquinisches Winterquartier.

Das Déjà-vu mit der kanadischen Heimat beginnt pünktlich zu den Frühnachrichten. Kein Bild, kein Ton. „KEIN SIGNAL“. Der Satellit, zielgenau nach Afrika ausgerichtet, macht schlapp. E.T. will nicht mehr.

Du rufst den Fernsehtechniker an, sprichst Englisch und Deutsch und sogar un poquito Español. Vor allem aber sprichst du mit Händen und Füßen.

Carlos kommt, er kommt tatsächlich. Klettert, Knopf im Ohr, fröhlich plappernd wie ein Stuntman über Terrassen und Dächer. „No problem“, sagt er auf Englisch. Und dann, als hätte sich die Peilrichtung der Satellitenschüssel urplötzlich von Afrika nach Norwegen verändert: „Big problem!“  Dann verschwindet er.

Sechs Stunden später ist er wieder da. Mit Marco im Schlepptau. Carlos guckt viel auf die Uhr, Marco mehr durchs Fenster. Der Wagen steht im Halteverbot. Die Polizei in Palma kennt kein Erbarmen mit Menschen ohne Satellitenempfang.

Carlos und Marco sind jetzt ein Team. Klettern zusammen, schrauben zusammen, fluchen zusammen. Und freuen sich irgendwann zusammen, dass alles so wunderbar geklappt hat.

„Houston, we have a signal!“ Rechtzeitig zur Tagesschau. Ein defekter Kontakt an der Schüssel war Schuld am Blackout. Jetzt sei alles unter Kontrolle, sagt Marco. Und Carlos láchelt unter seinem Schnauzer: No problem.

Kaum haben sich Carlos und Marco gestenreich verabschiedet, klopft es an der Tür. Es ist die Señora vom 2. Stock, mit süßem Baby, aber schlechter Laune. „Hola“, sagt die Frau. „Kein Signal!“

Regel Nummer eins im Umgang mit Handwerkern: Telefonnummern nach getaner Arbeit nie wegwerfen! Also: Anruf bei Carlos und Marco. Dreißig Minuten später steht das Dreamteam wieder auf dem Dach. Schraubt diesmal die richtigen Drähte mit den richtigen Schüsseln zusammen. Endlich: Signal für alle!

Irgendwann klappt in Mallorca immer alles. Irgendwie. Wie in Québec.

Schatten über dem Sonnenzirkus

image

© CTV/Cirque du Soleil

Wenn es den Leuten gut geht, sagte mein Vater immer, dann gehen sie in den Zirkus. Geht’s ihnen schlecht, dann gehen sie erst recht in den Zirkus. Jetzt geht es dem Zirkus nicht so gut und 400 Menschen schlecht. Sie verlieren in den nächsten Tagen und Wochen ihren Job.

Wie kann das sein? Eine Milliarde Dollar Umsatz machte der Cirque du Soleil im vergangenen Jahr, 14.2 Millionen Tickets wurden verkauft. Noch nie hatte „le Cirque“, wie die Montrealer ihren Vorzeigezirkus nennen, so viele Produktionen gleichzeitig am Start. Neunzehn sind es zurzeit, von fest installierten Shows in Las Vegas bis zu Aufführungen im Libanon und Korea, in Marokko und Neuseeland.

Starker Dollar, schwacher Kurs: Der Zirkus verliert Geld

Wenn das vor 19 Jahren aufgebaute Unternehmen jetzt trotzdem den Gürtel enger schnallen muss, dann liegt das angeblich am starken kanadischen Dollar. Die meisten Beschäftigten, nämlich 2000, arbeiten in Montreal, müssen aber mit Geld bezahlt werden, das zu 99 Prozent im Ausland erwirtschaftet wird. Allein der durch einen ungünstigen Wechselkurs bedingte Verlust liegt bei 3 Millionen Dollar pro Jahr.

Drei Millionen sind eine Menge Geld. Aber Peanuts im Vergleich zu dem, was der Gründer und Eigentümer des Cirque du Soleil mal so kurz für eine Reise ins All ausgibt. 30 Millionen Dollar habe sich Guy Lalilberté das Abenteuer kosten lassen, an Bord einer Weltraumkapsel mitfliegen zu dürfen, heißt es.

Zu teuer für eine vierköpfge Familie

Egal. Es ist seine Kohle und er war es, der aus einer Chaotentruppe von Feuerspuckern, Fakiren und Rasierklingenschluckern ein Unternehmen von Weltruf aus dem Boden gestampft hat. Nur: Hat Monsieur Laliberté eigentlich vergessen, wie lange eine Familie mit zwei Kindern arbeiten muss, um sich die 400 Dollar für ein paar Stunden in der Manege leisten zu können?

Die Cirque-Vorstellungen, die oft in Montreal Premiere feiern, haben auch uns jahrelang fasziniert. Ob Saltimbanco oder Allegria oder wie sie sonst alle heißen – für uns gehörten die Shows im blau-gelb gestreiften Zelt zu den Highlights des Kultursommers in Montreal. (Ehrlich gesagt waren die Premierentickets umsonst. Als die „deutsche Stimme des Cirque du Soleil“ für Promotion-Videos gab es zum Sprecherhonorar fast immer noch Eintrittskarten für die ganze Familie).

Selbst die Textilfarben werden selbst hergestellt

Dass mein Herz noch immer für diesen wunderbaren Zirkus schlägt, hat noch einen anderen Grund: Selten habe ich in meinem Reporterleben Menschen getroffen, die mit einer solchen Begeisterung bei der Sache waren. Für eine Hörfunk-Reportage über den Cirque du Soleil bekam ich eine Führung durch die Montrealer Zentrale. Ich sah die Kostümnäherinnen und die Schuhmacher, die Gürtelschneider und Kettenschweisser.

Und ich aß mit Hochseilakrobaten und Zirkusmusikern im hauseigenen Restaurant, in dem ein Sternekoch den Löffel schwingt. Alles, wirklich alles, das zu einer Vorstellung gehört, stellt Le Cirque selbst her. Selbst der Farbstoff, mit dem die Kostüme der Akrobaten und Tänzerinnen eingefärbt werden, stammt aus eigener Produktion.

Guy Laliberté mag die Idee für dieses geniale Spektakel gehabt haben. Aber es sind die Menschen, die den „Zirkus ohne Tiere“ zu dem gemacht haben, was er heute ist: Ein Spasskonzern, der Tausende beschäftigt und Millionen beglückt. Vielleicht gelingt es Monsieur Laliberté ja doch noch, die Massenentlassungen zu verhindern. Verdient hätte es der Sonnenzirkus.

>>>   Hier geht’s zu meiner Hörfunkreportage über den Cirque du Soleil   <<<

Zweisprachige Hunde in Québec

 Screen Shot 2012-12-15 at 4.01.23 PMWer in Québec lebt, hat es nicht leicht: Eltern werden per Gesetz gezwungen, ihre Kinder in französischsprachige Schulen zu schicken. Auf Stoppschildern steht „Arrêt“ statt „Stop“. Und wer in meiner geliebten Provinz einen Laden aufmacht, riskiert den Besuch der Sprachenpolizei, wenn er seinem Shop einen rein englischen Namen gibt. Und jetzt sollen auch noch Hunde zweisprachig bellen.

Wirklich? Nein, natürlich nicht.

Kate ist zwei australischen D-Jays aufgesessen. Zigtausend Montrealer ließen sich von einem kanadischen Rundfunkmoderator verarschen. Pat Kelly hatte in seiner Sendung „This is that“ („Das isses“) die Québecer Regierung durch den Kakao gezogen und dabei einen fiktiven Montrealer Stadtrat namens Benoit LaDouce interviewt. Der berichtete sehr glaubwürdig und fundiert von einem Gesetz, das vorschreibt, dass Hunde in Québec künftig Kommandos in beiden Landessprachen verstehen müssen.

Es könne nicht angehen, sagte Monsieur LaDouce im staatlichen kanadischen Rundfunk CBC, dass in den Stadtparks Hunde rumlaufen, die ausschließlich auf Englisch oder Französisch reagieren. In einer zweisprachigen Metropole wie Montréal sei Bilingualität eine Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Tier und Mensch.

Montreal bylaw requires dogs understand commands in both official languages  This is That with Pat Kelly and Peter Oldring  CBC Radio

Und wie das so ist im Netz: Die Welt hört mit. Plötzlich tauchte die Schlagzeile mit den zweisprachigen Hunden in Blogs und Nachrichtenportalen zwischen San Francisco und Singapur auf. Und, anders als beim verhängnisvollen Telefonat mit Kates Krankenschwester, hatte das Fake-Interview keine tragischen Folgen. Es landete wieder dort, wo es angefangen hatte: Beim Radiosender CBC. Der stellte spontan eine Online-Umfrage ins Netz: „Sind Sie der Meinung, dass Hunde in Québec zweisprachig sein sollten?“

85.4 Prozent sagten: NON!

Hilferuf einer Ärztin: Machtlos!

Screenshot ©CTV

Neues aus der Warteschlange: Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind und dringend eine Operation benötigen, müssen zurzeit mit einer Wartezeit von drei Monaten rechnen. Vorher ist in Québec nichts zu machen. „Uns fehlen OP-Räume, Ärzte und Krankenschwestern“, klagt die Chirurgin Dr. Dominique Synott in einem Interview mit dem Fernsehsender CTV

„Tag für Tag muss ich verzweifelte Frauen vertrösten“, sagt die Ärztin, „aber was soll ich denn machen?“ Ihr seien die Hände gebunden, das Gesundheitssystem der Provinz Québec sei nun mal wie es ist. „Wir sind machtlos“.

Ärztemangel, Geldverschwendung, Korruption – das alles hat dazu beigetragen, dass in diesem Teil Kanadas Zustände herrschen, die schlimmer sind als in manchen Drittwelt-Ländern. Aber die meisten Kanadier, die ich kenne, sind leidensfähig bis zur Selbstaufgabe. Man akzeptiert die Situation wie sie ist. Und vergleicht sich immer gerne mit den Schlechteren und nicht den Klassenbesten. Motto: „In den USA wären die Frauen froh, wenn sie nach drei Monaten überhaupt einen Arzt zu Gesicht bekämen“.

Besonders frustrierend: Das Geld ist da, jede Menge davon. Die Staatskassen sind prall gefüllt. Nur erreicht die Kohle nicht den Kunden, also den Patienten, sondern bleibt irgendwo in der administrativen Pipeline hängen.

Oder wird für wichtigere Dinge verprasst. Zum Beispiel für die Sprachenpolitik. Die „language police“ in der von Separatisten regierten Provinz Québec soll wieder einmal aufgestockt werden. Das ist die Behörde, die darauf achtet, dass die französischsprachige Auszeichnung von Produkten doppelt so groß ist wie die englische.

Schon klar. Was gibt es Wichtigeres als „Smoked Meat“ mit „Viande Fumée“ zu übersetzen? Oder eine Firma zu verklagen, die auf dem „e“ keinen accent d’aigue (é) haben möchte. Schwachsinn.

Theoretisch könnten die Separatisten schon bald wieder abgelöst werden. Sollte es bei der Verabschiedung des Haushaltes Ende des Monats zum Misstrauensvotum kommen, hätte die Minderheitsregierung der Parti Québecois ausgedient. Doof nur: Die einzige Partei, der man die Regierungsgeschäfte zutrauen möchte, steht im Moment führerlos da. Seit der verlorenen Wahl im Spätsommer hatten die Liberalen Wichtigeres zu tun als einen neuen Vorsitzenden zu wählen.

So gesehen stimmt es schon: Jedes Land hat die Regierung, die es verdient.

PS: Interessant in diesem Zusammenhang auch die Zuschrift des Blog-Lesers „Florian“ aus Montreal.