Wenn die Nacht zum Tage wird

Tag drei nach der Rückkehr aus Deutschland und du fühlst dich noch immer wie durch den Fleischwolf gedreht. Kurz nach Mitternacht ist dir nach Spiegelei mit Speck und am späten Vormittag willst du nur noch schlafen. Bäume ausreißen könntest du morgens um halb vier, dann ist es 09:30 Uhr in Köln und damit Seminarbeginn. Doch du bist längst nicht mehr in Köln sondern in Kanada, das weiss jeder. Nur dein Brummschädel hat die neue Zeitrechnung noch nicht geschnallt. Jetlag ist eine Zeitmaschine, die Sadisten mit Schlafstörungen erfunden haben müssen.

Manchmal frage ich mich, wie eigentlich der Jetset mit Jetlag umgeht. George Clooney zum Beispiel. Der ist doch ständig zwischen seiner Villa in Malibu und seiner anderen Villa am Comer See unterwegs. Wenn er nicht gerade in seiner Drittvilla auf Maui domiziliert. Oder Obama. Gut, der hat die Air Force One unterm Hintern, wenn er von Kontinent zu Kontinent reist. Aber auch im schönsten Flugzeug der Welt gibt es keine Gegenzeitmaschine, die dir den Jetlag wegbläst.

Schlafen wie Napoleon

Mein Kumpel Jörg ist Flugkapitän und verbringt mehr Zeit im Airbus als unsereins im Stadtbus. Jörg hält’s mit Napoleon und schwört auf den Kurzschlaf. Nach der Ankunft am Zielort legt er sich für ein, zwei Stunden aufs Ohr. Dann ist er fit, behauptet er.

Wenn es nach Napoleon geht, sind die meisten Menschen Idioten. Vom Feldherrn stammt das Zitat: „Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot“. Der Mann hat gut reden. Er kam kriegerisch ja nie über die eigene Zeitzone hinaus.

Dick und fett und ganz im Biorhythmus

Es sind ganze Bücher darüber geschrieben worden, wie man Jetlag am besten bekämpft. Irgendwo habe ich gelesen, erhöhte Nahrungsaufnahme nach der Ankunft in der neuen Zeitzone beschleunige die Umstellung. Na, prima. Dann wirst du zwar dick und fett, findest aber wenigstens schnell wieder zu deinem Biorhythmus zurück.

Lustig auch der Tipp aus einem Reiseprospekt: Sie sollten ein paar Tage vor Reiseantritt später als üblich zu Bett gehen. Somit kann sich Ihr Körper schneller dem neuen Rhythmus anpassen“. Sehr häufig ist in der Jetlag-Literatur auch der Hinweis zu lesen, man solle während des Fluges genug Flüssigkeit zu sich nehmen.

Fassen wir also zusammen: Um Jetlag zu vermeiden, machst du die Nacht zum Tage, frisst dir dabei den Wanst voll und kippst dir einen hinter die Binde.

Kommt mir irgendwie bekannt vor. Nur: der verfluchte Jetlag ist immer noch da.

Flug-Bekanntschaft mit Folgen

Bekanntschaften im Flugzeug sind eine heikle Sache. Besonders auf Fernflügen. Sprichst du den Passagier neben dir an, gibt es kein Zurück mehr. Unter Umständen sitzt dir dein Nebenmann acht Stunden auf der Pelle und du möchtest nur noch Hilfe schreien. Diesmal hatte ich Glück. Aber es gab auch schon andere Begegnungen.

Ein Paar aus dem Schwäbischen saß neben mir auf dem Rückflug von Frankfurt nach Montréal. Und noch ein Paar an der anderen Fensterfront. Geschwister mit ihren jeweiligen Partnern. Gut, dass ich sie angesprochen hatte. Es war die netteste Begegnung seit langem.

Man plappert schon mal gerne, wenn der Tag lang ist und der Flug langweilig. Manchmal erkennt man nach den ersten drei Sätzen, dass man sich vertan hat. Das Gegenüber ist ein aufgeblasener Pinkel. Oder ein Vielschwätzer. Oder beides. Mit so einem Mitflieger hatte ich es neulich auch mal zu tun.

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Als ich irgendwann eingenickt war und mich wohl versehentlich zwei Millimeter zu weit auf seine Seite gebeugt hatte, wurde er schroff: „Ich möchte Sie bitten“, sagte mein Nebensitzer allen Ernstes, „nicht mehr meinen Körper zu berühren“. Ganz genau so hat er es gesagt. Nur auf Englisch. Natürlich machte ich von jetzt an alle Anstrengungen der Welt, den Körper dieses Mannes nicht mehr zu berühren. Wobei ich ohnehin nicht der Typ bin, der gerne Männerkörper berührt. In einer Konservendose auf Körperberührungen achten zu müssen, kann anstrengend sein.

Dann war da noch der Mann, der beinahe ausgerastet ist, weil die Bordansage des Air Canada-Flugs nur auf Englisch und nicht in beiden kanadischen Landessprachen erfolgte, also auch auf Französisch. Dummerweise ließ ich mich mit ihm auf eine Diskussion über das Thema Separatismus in der frankokanadischen Provinz Québec ein. Eine der Todsünden, die man in diesem Teil Kanadas auf alle Fälle vermeiden sollte.

Der Wortwechsel drohte zu eskalieren. Irgendwann bat der Passagier die Stewardess, ob sie ihm bitte einen anderen Sitz im Flieger zuweisen konnte. Das konnte sie aber nicht, weil die Maschine ausgebucht war. Dem Biorhythmus zwischen meinem Nebensitzer und mir schadete allein schon dessen Drohung, von meiner Seite weichen zu wollen. Bis zur Ankunft in Montréal herrschte Eisesstille zwischen uns.

Und jetzt also zwei Pärchen aus dem Schwäbischen. Geschäftsleute. Klug, bodenständig, liebenswert. Viel zu erzählen. Interessiert und interessant. Ein Volltreffer in Sachen Passagier-Besetzung. So harmonisch verlief unser Flugtalk, dass wir uns gestern alle zusammen in Montréal beim Italiener trafen. Und über Fluggäste aller Art sprachen. Auch meine Nebensitzer aus Rottweil hatten da schon ihre Erfahrungen gemacht. Solche und solche. So saß neben einem meiner neuen Freunde ein jüdischer Herr im Flugzeug, der stundenlang „schockelte“. Dieses Vor- und Zurückwippen während des Gebets machte ihn total nervös. Dass dieses Schaukeln zum Ritual orthodoxer Juden gehört, erklärt zwar den Bewegungsablauf,. Aber das macht es auch nicht einfacher, bei so viel Unruhe die Contenance zu bewahren.

Bei dem gemeinsamen Flug mit den Schwaben neulich wurde weder geschockelt, noch politisiert. Nur erzählt und zugehört. Es war die beste Begegnung im Flieger seit langem. Darauf stießen wir jetzt an.

Prost, Rolf und Swetlana! Zum Wohl, Achim und Erika! Mit solchen Nebensitzern würde ich glatt um die Welt fliegen.

Der letzte Flug des alten Käpt’n


Ich kenne Käpt’n Mulcair nicht. Ich weiß nur, dass er heute einen der bewegendsten Momente seines Lebens gehabt haben muss. Der Flug, der mich vor ein paar Stunden sicher von Frankfurt nach Montréal gebracht hat, war der letzte Flug, den Käpt’n Mulcair im Cockpit zurückgelegt hat. In der Bordansage hieß es kurz vor der Landung: Kapitän Mulcair habe das Ende des Regenbogens erreicht. Jetzt gehe er in den Ruhestand. Nach 36 Jahren.

Gewöhnlich kommt mir diese Klatscherei nach der Landung immer ziemlich albern vor. Heute habe ich mit applaudiert. Ein Mann wie Käpt’n Mulcair hat unseren Beifall verdient, finde ich. Jahraus, jahrein Zigtausende von Menschen sicher ans Ziel gebracht zu haben – das ist eine stolze Leistung. Air Canada dachte wohl auch so.

Zum Abschied: Spritzenmänner und Blaulicht

Bei der Landung der Boeing 777 warteten am Gate mehrere Feuerwehrautos auf uns. Wasserfontänen wurden in die Luft gejagt, das Rollfeld glänzte wie frisch gewienert. Das Blaulicht der Feuerwehrautos spiegelte sich in den Pfützen. So sieht also das Ende einer Fliegerlaufbahn aus: Spritzenmänner und Blaulicht für Spitzenmänner.

... und dann mal tschüss! - Foto: 1pilot_1voice

Was der Kapitän in diesen 36 Jahren wohl so alles erlebt hat? geht es mir bei der Landung durch den Kopf. Abenteuerliche Notlandung im Nil-Delta hingelegt? Entführungsversuch über Simbabwe abgewehrt? Zehntausend Meter über Bora Bora bei einer Kindsgeburt an Bord mitgeholfen? Einer ängstlichen alten Frau über Madagaskar das Händchen gehalten, als er seinen Routinegang durch die Maschine machte? Keine Ahnung. Der Gedanke, heute mit so einem erfahrenen Mann am Steuerknüppel um die halbe Welt geflogen zu sein, hat jedenfalls etwas Beruhigendes.

Seitenwind – und vielleicht auch ein paar Tränen

Die Flugkritik kommt ganz zum Schluss. „Beim Aufsetzen hat er aber heftig mit Seitenwind gekämpft“, versucht ein Passagier am Gepäckkarussell einem Mitreisenden die nicht ganz butterweiche Landung zu verklickern.

Ich glaube: Käpt’n Mulcair hat auf seinem letzten Flug nicht nur mit Seitenwind gekämpft. Vielleicht auch mit ein paar Tränen.

Später habe ich Kapitän Mulcair übrigens noch gesehen. Er kam fast zeitgleich mit mir aus der Zollkontrolle. Eine ältere Dame wartete auf ihn mit einem Blumenstrauß. Ich vermute mal, es war seine Frau. Ich befürchte, Mrs. Mulcair, wenn es sie denn gibt, dürfte es künftig nicht ganz leicht haben, Mr. Mulcair, Flugkapitän im Ruhestand, die Langeweile zu vertreiben.

Was er wohl macht, jetzt, da er nicht mehr im Cockpit sitzt? Ich tippe auf Modelleisenbahn.

Das war nicht nett, Frau Merkel!

Wie soll diese Frau den Euro retten, wenn sie nicht einmal meinen Flugplan auf die Reihe kriegt? Nein, Frau Merkel, das war nicht nett. Ich behaupte jetzt einfach mal: Die Kanzlerin war schuld, dass sich meine Ankunft in Frankfurt verzögert hat.

Da haue ich mir schon die ganze Nacht im Flieger um die Ohren. Dann kreist die Maschine aus Montreal auch noch ewig über Frankfurt, ehe sie endlich zur Landung ansetzt. Offiziell hieß es aus dem Cockpit: Starker Nebel verzögere unsere Ankunft. Inzwischen habe ich den Verdacht: Die Kanzlerin ließ Air Canada warten.

Angela Merkel hatte sich vorgenommen, ausgerechnet gestern in Frankfurt zu sein. Einen dooferen Termin für die Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn hätte sie sich nicht aussuchen können.

Diesmal kein Weisswurst-Frühstück

Als die Air Canada-Maschine endlich Boden unterm Hintern hatte, versperrten Bundespolizisten den direkten Weg zu den Gepäck-Karussells. Erst über einen abenteuerlichen Umweg durch das Airport-Labyrinth ging“s zu den Koffern. Den Anschlusszug nach Köln schaffte ich noch mit Müh und Not. Dabei buche ich den ICE immer so großzügig, dass ich vor der Weiterfahrt bequem ein Weißwurst-Frühstück beim Käfer einnehmen kann. Irgendjemand muss ja schliesslich all die herrlichen Deutschland-Klischees bedienen. Aber zum Weisswurst-Essen reichte diesmal die Zeit nicht aus.

Ohnehin stand der Flug von Montreal nach Frankfurt unter einem schlechten Stern. Der Start verzögerte sich um fast eine Stunde, weil der Catering-Service dreißig Essen zu wenig angeliefert hatte. Als die Jungs von der Küche endlich mit Pasta und Pute eintrudelten, setzte ein so heftiger Regensturm ein, dass die Maschine noch länger am Boden blieb.

Kein Film, keine Musik. Nicht einmal Leselampen

Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten: Der Videoserver im Flieger machte schlapp. Kein Film, keine Musik, nicht einmal ein virtueller Streckenplan auf dem Monitor. Leider blieben während des Transatlantik-Flugs nicht nur die Bildschirme dunkel. Auch die Leselampen funktionierten nicht. Mehr Langeweile geht nicht. Immerhin zeigt die Airline wegen all der Unannehmlichkeiten Reue: Am Ausgang gab’s einen Gutschein für Jeden: Fünf Prozent Preisnachlass beim nächsten Air Canada-Flug.

Wünschen wir Ihnen auch, Frau Merkel!

Der Satz, den die Bundeskanzlerin bei der Einweihung der neuen Landebahn sagte, klingt im Nachhinein wie Hohn: „Ich wünsche allen, die hier ankommen, eine gute und sichere Landung“.

Und eine pünktliche dazu, Frau Merkel. Eine pünktliche!

100 Mal Deutschland und zurück

Ich reise gern. Aber ich hasse fliegen. Der Weg ist längst nicht mehr mein Ziel. Seit meiner Auswanderung nach Kanada bin ich mehr als 100 Mal über den Atlantik geflogen. Und 100 Mal wieder zurück. Heute Abend werde ich wieder im Flieger sitzen. Bilanz nach gut 1.2 Millionen Flugkilometern: Die Sitze werden enger. Die Passagiere dicker. Das Essen schlechter.

75 Tage – zweieinhalb Monate meines Lebens habe ich allein in Flugzeugen zwischen Kanada und Deutschland vebracht. Dazu kommen Reisen nach Südamerika, Australien und andere Teile der Welt. Dabei herrschte nicht immer pure Langeweile.

Aufregung gab es auf einem Flug von Montréal nach Havanna. Die Broschüre mit den Sicherheitsbestimmungen der kubanischen Airline war von Hand geschrieben, der Text hektographiert. Wie die Einladungen, die mir mein Vater für Kindergeburtstage vervielfältigt hat. Alles nicht besonders vertrauenserweckend in einer Maschine, die aussah, als hätte sie schon Kampfeinsätze in Afghanistan hinter sich. Dafür waren die Cocktails umso schöner. Mojito mit Sonnenschirm. Irgendwann kam der Kapitän aus dem Cockpit und grüßte elegant ins Publikum. So sehen Sieger aus. Nachdem der Käpt’n mäßig stürmische Ovationen für gutes Fliegen entgegengenommen hatte, ließ sich auch noch der Co-Pilot von den Passagieren beklatschen. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich gerne umgekehrt. Wer die Maschine eigentlich geflogen hat, weiß ich nicht. Ich vermute mal der Flugingenieur. Vielleicht auch der Autopilot. Oder der liebe Gott.

Auf dem Flug in den Norden: Wasser tropft von der Decke

Richtig ungemütlich wurde es auf einem Flug mit Air Creebec nach Waskaganish. Die Maschine war auf dem Weg zur Sub-Arktis fast ausschließlich mit Indianern und Inuit besetzt. Irgendwann verteilte die Stewardess – eine Cree-Indianerin – Küchenrollen. Dann bat sie alle Passagiere aufzustehen und mit den Papierhandtüchern das Wasser aufzufangen, das von der Flugzeugdecke tropfte. Es war weniger schlimm als es aussah: Die Feuchtigkeit war nicht durch die Flugzeugdecke gedrungen. Es handelte sich lediglich um Kondenswasser.

Und dann wäre da noch die Geschichte mit den Tauben: Auf dem Weg von Montréal nach Berlin legte ich einen neunstündigen Zwischenstopp in London ein. Alles passte: Ankunft Heathrow am Morgen. Weiterflug nach Berlin am soäten Abend. Dazwischen englische Freunde besuchen. Nach der Landung in Berlin erkannte ich meinen Koffer nicht wieder. Er war zubetoniert mit Vogelscheiße. Die Briten hatten mein Gepäckstück den ganzen Tag auf dem Rollfeld stehen lassen. Tauben und Möwen benützten meinen Koffer neun Stunden als ihr Privatklo. Noch in der Nacht gab’s eine geharnischte Mail an British Airways. Mit Fotos vom Kackkoffer. Die Airline ließ sich nicht lumpen: Rückflug Erster Klasse von Berlin über London nach Montréal. Lachs statt Tauben.

Zwei-Klassenausflug: Trüffel und Röschen aus der First Class

Richtig unangenehm finde ich es, wenn auf deinem Flieger noch jemand sitzt, den du kennst. Neulich entdeckte ich von der Holzklasse aus einen Bekannten in der First Class. Der Kollege fand den Zwei-Klassen-Ausflug ziemlich lustig und zeigte sich spendabel – auf Kosten der Airline. Er brachte mir Trüffel an meinen Platz, hinten in der Bronx. Lore bekam eine Rose.

In diesem Moment hätte ich dem Kollegen gerne das Fliegen beigebracht.