„Reich und berühmt“ im Allgäu

lamm

„Guck“, flüstert die Kellnerin im Landgasthof ihrer Kollegin zu, als ich den Frühstücksraum betrete. „Do kommt der Herr aus Kanada. Reich und berühmt!“. „Warum reich? Warum berühmt“?, will ich wissen. „Se werdet scho seha“.

Tatsächlich: Da liegt sie, die aufgeschlagene Lokalseite der „Schwäbischen Zeitung“. „Herbert Bopp kommt zur Lamm3-Lesezeit“. Mit Foto und Text. Meinem Starruhm ist jetzt kein Ende mehr gesetzt. Zumindest zwischen Bettelhofen und Hinznang.

Die Wahrheit ist: Die Frau meines Freundes betreibt in Leutkirch im Allgäu eine charmante kleine Teestube. Alle paar Wochen gibt’s außer Tee und Feingebäck noch kleine Veranstaltungen mit Künstlern, Autoren, Journalisten. Menschen mit Geschichten eben. Und weil ich ohnehin zurzeit das Allgäu unsicher mache, wurde ich eben zur „Lesezeit“ in die Teestube eingeladen.

Was lese ich vor? Was erzähle ich? Und überhaupt: Interessiert denn das überhaupt jemanden, wenn ich Geschichten aus Alaska, New York oder Palma de Mallorca erzähle? Offensichtlich schon. Die Karten für die Veranstaltung waren sofort ausverkauft. Der Erlös kommt einem guten Zweck zugute.

Auf meinen Auftritt in der Teestube freue ich mich aus vielerlei Gründen. Zum einen kenne ich keinen Journalisten, der nicht gerne ein wenig aus seinem Leben erzählt und damit, Hand aufs Herz, auch ein wenig seine Eitelkeit pflegt.

Wichtiger aber ist mir die Begegnung mit Menschen, die ich schon zwanzig, dreißig Jahre nicht mehr gesehen habe. „Sie werden kommen“, sagt mir die Veranstalterin, „deine Wegbegleiter von früher werden da sein“. Redakteure, mit denen ich vor gefühlten 100 Jahren bei der Schwäbischen Zeitung zusammengearbeitet habe. Nachbarn aus Urzeiten, Freunde und Familie.

Und auch ein Leutkircher Banker hat sich zur Lesestunde angemeldet. Er war nach meiner Auswanderung mutig genug gewesen, mir mein erstes Häusle in Kanada zu finanzieren. Ich vermute mal, er möchte wissen, ob sich sein Einsatz damals gelohnt hat.

Erst der Winter, dann die Eiszeit

Screenshot - Copyright Canadian Presse

Screenshot – Copyright Canadian Press

Während sich unser Winterquartier Mallorca mit Temperaturen von über 20 Grad langsam zur Sommerfrische mausert, bläst im heimischen Montreal ein kalter Wind. Nicht nur dass meine Freunde seit Monaten in einem der härtesten Winter der letzten 20 Jahre feststecken. Es kommt noch schlimmer: Am 7. April gibt es Neuwahlen in der Provinz Québec.

Die Separatisten, die zurzeit eine Minderheitsregierung bilden, drängen nach der absoluten Mehrheit. Schafft es die Parti Québecois diesmal, stehen vor allem nichtfrankophonen Bewohnern wie uns schwere Zeiten bevor. Schon jetzt steht fest: Nach einer gewonnenen Wahl wäre ein Referendum über die Loslösung Quebecs vom kanadischen Staatenbund nur noch eine Frage der Zeit. Beim letzten Referednum fehlten den Separatisten gerade mal 60.000 Stimmen zum eigenen Staat.

Die Chancen für die Separatisten stehen gut. Bei Meinungsumfragen haben sie die Nase stets ein stückweit vorne. Wie ein unabhängiges Quebec ohne Kanada überleben könnte, bleibt das Geheimnis der machthungrigen Separatisten.

Generell sind Veränderungen in der Politik ja meistens eine gute Sache. Sie bringen frischen Wind in eine Gesellschaft und bieten oft die Chance eines Neubeginns. In Québec ist das Gegenteil der Fall. Die Parti Québecois mit einer Frau namens Pauline Marois an der Spitze, will die Uhr zurück drehen: Mehr Französisch, weniger Englisch. Darüber wacht schon jetzt eine eigens dafür ausgebildete Sprachenpolizei. Weniger liberales Gedankengut, mehr Chauvinismus.

Dazu gehört ein unerhört dreister Vorstoß, der religiösen und ethnischen Minderheiten vorschreiben soll, wie ihre Kopfbedeckung auszusehen hat und welche öffentlichen Ämter sie bekleiden dürfen und welche nicht. Keine schönen Perspektiven für all die Immigranten, die Kanada zu dem gemacht haben, was es heute ist: Ein Land, in dem jeder willkommen ist, unabhängig von Hut oder Hautfarbe.

Gut möglich, dass am 7. April auch in Montreal so etwas wie Frühling eingekehrt ist. Doch die richtige Eiszeit beginnt erst nach dem Wahltag.

Freundlichblau statt kanadakalt

blau

„Der Himmel ist heute mal wieder stahlblau“, frohlocke ich. „Nein“, sagt sie, „stahlblau wäre ja kalt“. Stimmt. Was also? „Der Himmel ist freundlichblau und warm“, sagt sie dann. Genau. Das ist es: Freundlich und warm. Mallorca eben.

Nicht immer war die Luft warm und der Himmel freundlichblau in den letzten Tagen. Allzu oft war er grau und wolkenverhangen. Da fällt dann irgendwann auch ein Satz wie: „Und dafür sind wir um die halbe Welt geflogen“? Unfair, schon klar. Aber Empfindungen wie diese zeigen, wie sehnsüchtig sich der vom kanadischen Winter entwöhnte Körper nach Licht und Wärme sehnt.

Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da konnte es mir in Kanada nicht kalt genug sein. Minus 30 Grad? Pah! T-Shirtwetter. Minus 40? Knackig kalt, aber irgendwie exotisch. Bei minus 50 Grad Celsius, was in Manitoba schon mal vorkommt, reicht es dann aber auch dem radikalsten Kälte-Extremisten. Aber wenigstens hat er beim nächsten Besuch im Allgäu etwas zu erzählen.

Wieder etwas gelernt: Mit zunehmendem Alter nimmt die Kältetoleranz ab. Wenn das so weiter geht, verbringe ich mit 75 meine Tage nur noch in der Sauna.

Und jetzt also Mallorca. Kälter als zwölf Grad war es seit unserer Ankunft vor einem Monat selten. Anfangs herrschten gerade hochsommerliche Temperaturen. 25 Grad in der Sonne fühlen sich hier schnell an wie 30. Man konnte sich daran gewöhnen.

Tschüss Winter! Hola Mallorca!

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Die Proseccoflaschen sind entsorgt, sämtliche Neujahrsanrufe erledigt. Unser Winterquartier in Palma ist angerichtet. Mallorca, wir kommen!

Schwer gefallen ist mir der Abschied vom kanadischen Winter noch nie. Wer mehr als 30 Jahre lang schlimme Schneestürme und Dutzende von Stromausfällen erlebt hat, weil die Überlandleitungen mal wieder unter den Eismassen zusammengekracht sind, der entwickelt im Laufe der Jahre ein ziemlich unromantisches Verhältnis zum Winter.

Ohnehin scheint es der alte Mann dieses Jahr besonders eilig zu haben, so als würde er uns dafür bestrafen wollen, dass wir den Spieß umdrehen und IHM die nächsten vier Monate die kalte Schulter zeigen. Ich kann mich nicht daran erinnern, in all den Jahren schon so früh in der Saison solche extremen Temperaturen und Schneemengen erlebt zu haben.

Ein Silvesterfeuerwerk bei minus 25 Grad vergisst man nicht so schnell. 50 000 bibbernde Menschen können nicht irren: Schön war die Party auf dem Place Jacques Cartier in Alt-Montreal allemal. Aber jetzt ist gut. Der Winter hat sich selbst entzaubert. Das hat er nun davon.

Von morgen an gibt’s statt Donuts mallorquinische Ensaimada und der Wein in unserer Stammbar in Palma kostet noch immer 1.80 Euro, während wir hier, in der teuersten aller kanadischen Provinzen, mit 9 Dollar pro Glas abgezockt werden.

Wenn wir Snowbirds im Mai nach Kanada zurückkehren, werden die Schneeberge in St. Henri vor der Frühlingssonne in die Knie gegangen sein. Dann werden das Kanu poliert und die Räder gesattelt. Kanada kann ja so schön sein.

Vorausgesetzt es ist Frühling, Sommer und Herbst.

Silvester: Cool. Cooler. Bitterkalt!

Screenshot © CBC
Screenshot © CBC

Der heutige Silvesterabend dürfte einer der kältesten werden, den ich in Kanada je erlebt habe. Wenn ich ihn erlebe. Gefühlte minus 30 Grad sollen es in der Nacht werden.

Ausgerechnet heute, da wir es um Mitternacht in Alt-Montreal krachen lassen wollen. Mit voraussichtlich 50 000 anderen, die sich auf dem Place Jacques Cartier versammeln, um das neue Jahr zu begrüßen.

Nix da warme Stube. Mit Liveband und Feuerwerk und ganz vielen Küsschen werden wir unten am Hafen die 13 durch die 14 ersetzen.

It is shaping up to be one cold sonofabitch!”, warnt mich Partykumpel Doug in seiner Mail. Was soviel heißt wie: “Sind wir eigentlich bescheuert?”

Damit der Prosecco nicht in der Flasche gefriert, haben wir uns für heute Abend einen coolen Trick ausgedacht. Wir trinken einfach schneller. (Eben kommt per Mail ein Tipp von meinem Uraltkumpel Joachim: „Wenn Ihr gleich zum Wodka übergeht, braucht Ihr nicht ganz so schnell zu trinken!„)

In Montreal mag es zwar klirrend kalt werden. Im Vergleich zu meinen Freunden im westkanadischen Manitoba haben wir hier geradezu T-Shirt-Wetter. In Winnipeg werden minus 50 Grad erwartet.

 Frohes Neues Jahr!  Happy New Year!  Bonne Année! 

Und hier noch das Wetter in Winnipeg/Manitoba:

wetter