Old Man Winter ist hier

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Diesmal kam er auf leisen Sohlen. Gestern noch hatte es lediglich nach ein wenig Puderzuckerstaub ausgesehen. Heute früh dann eine Handvoll Schneeflocken. Und am Abend dann das volle Programm: Eis. Schnee. Kälte. Und kein Ende abzusehen. Kanada eben.

„Es gibt zwei Jahreszeiten in Kanada“, sagen die, die es wissen müssen: die Kanadier, „Winter und Baustellen“. Dieses Jahr kommt alles zusammen: Die Innenstadt gleicht mit Tausenden von Baustellenzylindern einem Fahrschulparcours. Und jetzt noch Eis und Schnee. Letzter Stand: Um die 30 cm. Gute Nachrichten für Abschleppunternehmen. Schlechte für den Rest von uns.

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Dass ausgerechnet heute der legendäre Jean Béliveau zu Grabe getragen wurde, passt. Nur Eishockey sorgt in Kanada für mehr Gesprächsstoff als das Wetter.

Und hier noch etwas zum Schmunzeln: Der kanadische Wetterdienst hat ein kurzes Video auf YouTube gestellt:

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Die Mär vom Winter in Kanada

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Ein bisschen Wnter auf Mallorca.

Wenn es nach mir ginge, bräuchte ich keinen einzigen Tag Winter mehr. Mein Schnee-Soll ist nach 30 Jahren Kanada erfüllt. Die Minusgrade, die mir kanadische Winter in den vergangenen drei Jahrzehnten beschert haben, entsprechen zusammengerechnet ungefähr dem Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten. Und mit dem Streusalz, das sich während dieser Zeit an meinen Schuhsohlen angesammelt hat, könnte man leicht die Nordwestpassage zum Schmelzen bringen.

Der Mythos vom traumhaft schönen kanadischen Winter hält sich bei meinen deutschen Freunden hartnäckig. „Ihr habt wenigstens noch einen richtigen Winter“, höre ich oft, „nicht so ein Matschwetter wie wir“. Stimmt gar nicht. Häufig genug gibt es, zumindest auf dem Breitengrad, den ich mir zum Leben ausgesucht habe, plötzliche Wärmeeinbrüche. Die bringen, genau wie in Köln oder Kiel, Matschphasen mit sich, die nur entfernt an einen „knackigen Winter“ erinnern.

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Winter in Kanada.

Und auch das mit dem strahlend blauen Himmel zwischen November und April ist, zumindest in Montréal, eine Mär. Im Westen Kanadas, also Manitoba, Saskatchewan, Alberta, mag das anders sein. In unserem Teil des Landes finden Sonnenersatz-Lampen gegen Winterdepression reißenden Absatz.

Dabei ist es nicht einmal so sehr die Kälte, die mich am kanadischen Winter stört. Es ist die Länge. Im November geht die Klappe runter und mit etwas Glück Ende April wieder hoch. Dazwischen ist das Leben oft anstrengend und schwer.

Wie leicht der Alltag ohne Eis und Schnee sein kann, erleben wir zurzeit auf Mallorca. Hier heißt es vor dem Ausgehen nicht: Parka? Mütze? Schal? Handschuhe? Alles zusammen? Hier stellt dich das Wetter allenfalls vor die Entscheidung: Hemd oder Jacke? Mit so einem Winter kann ich leben.

Dabei herrscht auch hier noch Winter, im Tramatura-Gebirge hat es sogar geschneit. Aber im Großen und Ganzen ist das Klima lieblich und irgend etwas blüht immer (zurzeit sind es die Mandelbäume). Das Leben spielt sich auch während der so genannten „kalten“ Jahreszeit weitgehend im Freien ab. Noch nicht ein einziges Mal haben wir seit unserer Ankunft im Inneren eines Restaurants gegessen.

Meine kanadischen Freunde spielen Eishockey, um dem Winter etwas abzugewinnen. Oder fahren Langlaufski. Oder gehen Eisfischen. Oder jagen mit dem Snowmobil über zugefrorene Flüsse und Seen. Aber für mich hält sich der Spaßfaktor in Grenzen, wenn das Thermometer auf minus 25 Grad sinkt und sibirische Winde dir das Hirn wegblasen.

Mon pays ce n’est pas un pays, c’est l’hiver“, heißt es in einem Lied, das jeder Québecer kennt. „Mein Land ist kein Land, es ist der Winter“. Ich lebe gerne in Kanada und Montréal ist die Stadt meines Herzens. Und ich liebe die Menschen, die dort wohnen, ihre sympathische Lebensart, dieses unvergleichliche joie de vivre der Québecer.

Aber der kanadische Winter? Nein danke!

Eis-Hotel für Bibber-Gäste

Wenn ich auf Reisen bin, kann ich leider nicht täglich bloggen. Deshalb der Griff ins Archiv. Hier finden Sie von Zeit zu Zeit die Textversion meiner Hörfunk-Reportagen. Die Manuskripte wurden nicht aktualisiert!

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QUEBEC CITY / QUEBEC

Minus 42 Grad im Wind – so kalt wird es um diese Jahreszeit schon mal in Kanada. Da wird dann der Wein zum Eiswein, das Kotelette zum Eisbein. Doch Christophe Jourdi aus Montreal stört das nicht weiter. Im Gegenteil: Der 32jaehrige Designer sucht mitten im kanadischen Winter noch nach Steigerungsmöglichkeiten. Im Eis-Hotel bei Quebec-City hat er den Kick gefunden.

Die tausend Quadratmeter große Hotel-Anlage aus Eis und Schnee ist die erste dieser Art in Nordamerika und nach Schweden die zweite weltweit. Ein Quebecker Unternehmer hat das Super-Iglu in zweimonatiger Arbeit bauen lassen – aus 275 Tonnen Eis und fünftausend Tonnen Schnee.

Das Eis-Hotel steht unmittelbar neben den Mont-Morency-Wasserfällen. Die sind weniger bekannt als die Niagarafälle, dafür aber dreißig Meter höher. Sechs Zimmer hat das Hotel. Die Übernachtung liegt bei 200 Euro pro Nacht. Die neunzehn Betten bestehen aus Eisblöcken. Darauf liegt ein Rentierfell bedecktes Holzgestell. Spezialschlafsäcke werden vom Hotel gestellt. Am Neujahrstag wurde der Eis-Palast eröffnet.

Die fünf Zimmer des Eishotels sind zum großen Teil ausgebucht. Die meisten der bisherigen Gäste kamen aus Frankreich und den USA. Aber es waren auch ein paar Kanadier darunter.

Nach zwölf Wochen macht der Eispalast die Schotten dicht – bis zum nächsten Jahr. Dann erst wollen die Erbauer so richtig in die Vollen gehen: Mit einem Kino, zwei Kunstgalerien und sogar einer Kapelle. Und natürlich wird es auch wieder eine Eis-Bar geben. Die Rocks für den Whisky darf sich der Gast selbst hacken.

(Sendung vom 3-1-2001)